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Selçuk Salih Caydı



Entdeckt habe ich Selçuk Salih Caydı im Jahr 2013 in der Türkei. In Deutschland ist er über seinen zweisprachigen Twitteraccount bekannt. Während der Gezi-Bewegung war er einer der wenigen, der aktuell und kontinuierlich ein lebendiges Bild von den damaligen Protesten aus der Türkei nach Deutschland vermittelt hat.
Doch seine Twitts sind viel mehr als nur eine "140 Zeichen Meldung mit Bild" über ein aktuelles Ereignis. 
Denn Selçuk ist nicht nur politischer Analyst sondern auch ein BloggerWer einmal in Konstantiniye notları hineinschaut, wird erstaunt sein über die Vielfalt der Themen, die er aktuell beschreibend interpretiert, oder aus historischer Perspektive betrachtet und in die Zukunft gedacht präsentiert.
Bereits beim Durchblättern seines Blogs kann man erahnen, welches Wissen und Können in diesen sorgfältig erstellten Texten mit einem ganz eigenem Sprachstil stecken, was die Übersetzung allerdings manchmal erschwert.
Vor allem aber ist Selçuk ein Literat. Er arbeitet an Romanen und schreibt Geschichten. Seine Geschichten faszinieren in ihrer fantasievollen Lebendigkeit, ihrem Witz und ihrer Tiefgründigkeit und bestechen durch die Genauigkeit seines Wissens über historischer Gegebenheiten, welches er immer wieder in sie hineinwebt.  

Diese Vielfalt von Selçuk Salih Caydı lässt sich bereits beim Lesen und Betrachten seiner Twitts erahnen. Da sind seine bildreichen Stöbereien durch Istanbul und Umgebung, die eine quirlige und facettenreiche Stadt entstehen lassen, die sich so angenehm abhebt von der Schwere der dumpf-traurige Depressivität verbreitenden Sicht eines Orhan Pamuk. 



Selçuk nimmt seine Follower mit auf seinen Streifzügen durch die Stadt, zeigt ihnen die Märkte, besucht mit ihnen die Antikläden oder gibt Einblicke in die Kneipenkultur. Kompetent und zielgerichtet durchstöbert er die Buchläden und Antiquariate, immer auf der Suche nach neuen Entdeckungen oder seltenen Exemplaren, die er aufspürt und als Überraschung ins Netz stellt. Aus jedem seiner Bilder – seien sie vom Schiff auf dem Bosporus, von der Flaniermeile Istiklal oder sind es Bilder aus den engen Strassen von Beyoğlu – blitzt seine Liebe zu Istanbul hervor und gibt diesen dadurch einen besonderen Reiz und Glanz. 

Der Blick von Selçuk über und auf Istanbul und nach Istanbul hinein hebt sich auch sehr angenehm ab von den hunderten der "Istanbul-ist-eine-Touristenstadt"-Photos im Netz, mit den unzähligen immer gleichen Moschee- und Palastbildern, den Sesamkringel- und Kastanienverkäufer-Ab-Bildern und den ungezählten Aufnahmen aus der Glitzerwelt des Grand Bazar. 

Und noch etwas ist für Selçuks Istanbul ganz wichtig: die Stadtkatzen. Hätte man sein Twitterarchiv und würde seine Katzenbilder einmal zählen, es wären mittlerweile sicher hunderte, denn Selçuk liebt Katzen und Istanbul ist bekanntlich eine Katzenstadt.





Und darüber schreibt er auch und erzählt von "Istanbuls Buchkultur und den Katzen der Straße als Glücksbringer der Lesenden und Archivare der Freiheit" .

Auf Twitter erfährt man aber auch, worüber Selçuk gerade noch schreibt.



Im Zeitverlauf mitgelesen erscheint so eine Ahnung von den entstehenden Geschichten und Romanen, so dass bei vielen seiner Follower mittlerweile der Wunsch entstanden ist,  "hoffentlich erscheint das alles auch in Deutsch."
Diejenigen, die Türkisch können, finden im Blog sogar ausführlicher einzelne Kapitel seiner Romane.  
Insgesamt gibt es im Blog viel Nachdenkliches und Analytisches. Und es gibt dort Geschichten: Kurze Geschichten auf Konstantiniye mikronnotlarılange Geschichten oder alte Geschichten neu erzählt, wie beispielsweise seine Einfälle zum Hodga Nasreddin.




Hinzu kommen seine "Guten Morgen ..." und seine "Gute Nacht ..." Tweets, durch die - wiederum im Zusammenhang gelesen - eine poetische Twitterature entsteht, die oft eine Verbindung zu aktuellen Tagesereignissen erahnen lässt oder vergangenen nachspürt und so neugierig auf seine anderen Twitts und Texte macht. 


Was mir besonders an Selçuk Salih Caydı gefällt, ist seine Sensibilität und die damit einhergehende konsequente Ablehnung jeglicher Form der Unterdrückung von Selbstbestimmung und dominanter Religiosität, die ihn so angenehm abhebt vom allseits noch immer üblichen Macho-Gehabe in der Türkei. 
Dabei hat er eine ganz besonderer Art, wie er dieses im türkischen Alltag aufspürt und präsentiert. Er sieht mit einem grenzenloser optimistischer Blick in die Zukunft, gepaart mit liebevollem Necken oder mit beißender Ironie gegen das Gegenwärtige, immer wieder durchwoben mit seinen allseits beliebten Schimpftiraden, die er gegen jegliche unterdrückerische Form eines politischen Islamismus loslässt.


Ich fühle mich geehrt über Selçuk Salih Caydıs Entschluss, hier einem gemeinsamen Blog entstehen zu lassen und freue mich darauf, mein Denken mit ihm teilen zu können. Oft ist mir sein Blick auf das, was mich interessiert erst einmal fremd, und ich muss mich in seine Texte hinein fühlen: in seine Worte, in seine Satzkonstruktionen und auch in seine Bilder. Wahrscheinlich geht es ihm mit mir ebenso. Ich habe mir aber schon lange einen solchen Gesprächspartner gewünscht, der so ganz anders auf das guckt, was mich interessiert und der dann oft auch ganz anders darüber denkt, als ich selbst es tue. Daraus könnten spannende Dialoge entstehen.

Wir wissen es nicht. Wir probieren das hier einfach einmal aus.