Ahmed Bey von Eminönü

Es ist schon Jahre her, damals in Istanbul. Es war dort wieder mal Winter. Wir stapften vom Galaterturm durch die engen Kopfsteinpflaster-gassen, über die Brücke, hinüber in Richtung Eminönü. Der Wind blies eiskalt ins Gesicht. Ich bedeckte den Kopf mit dem Tuch, um dieser Kälte zu entgehen. Da passierte es. Ich stolperte. Der Absatz bricht ab.
Was tun? In ein Schuhgeschäft? Aber wo? "Wieso denn das? Wir sind doch gleich in Eminönü", erklären mir meine Begleiter. "Dort sind die Ayakkabı boyacısı, die Schuhputzer, die reparieren auch". Ja, da sitzen sie, damals wie heute, nebeneinander aufgereiht, mit ihren blitzblanken Messingkisten, die Schuhputzer und warten auf Kundschaft.

Bei Ahmed bleibe ich stehen. Er lächelt, lässt einen Stuhl holen und schickt den Jungen nach Tee. "Ver onu!" - gib her - befiehlt er mir und macht sich an die Arbeit. Sorgfältig entfernt er den Schmutz am Stiefel, feilt ein bißchen an den Kanten, sucht nach einem passenden Lederstück, schneidet es zurecht, nagelt es vorsichtig, hält den Kopf schief, guckt kritisch und zieht einen Nagel wieder heraus. "İyi değil" - nicht gut - erklärt er und nagelt erneut. Er schneidet die Ecken, passt alles an und betrachtet dann sein Werk. Er ist zufrieden. Ich bin es auch und will die Stiefel nun anziehen, denn es ist kalt. Doch falsch gedacht. Er wickelt meine Füsse in eine Decke und beginnt nun noch sein Putzritual.


Und irgendwann sind sie dann wieder wie neu, meine Stiefel. Er strahlt.  Das Ritual des Zahlens beginnt. Wie immer. Er benennt einen Preis. Mir ist das zu wenig. Er will es nicht annehmen. Er ziert sich ein bißchen. Doch dann steckt die Lira erfreut in seine Hosentasche. Mein Weg zurück hoch zum Galaterturm beginnt. Die Füsse werden wieder warm. Ich bin zufrieden. Doch irgendetwas ist schief. Im Hotel angekommen merke ich es - eine der Einlagen für das bequeme Laufen ist weg. Das ist sehr ärgerlich, denn ich laufe viel. Ich entferne die andere und bin böse mit mir, weil ich mal wieder nicht genug aufpasse. Und am nächsten Tag ist es dann auch etwas unbequem, denn ich laufe viel in Istanbul. Wir haben einen Termin ganz in der Nähe und ich will doch noch einmal bei Ahmed vorbeischauen. Es ist nicht zu glauben! Er erkennt mich zuerst, hält die Hand hoch, hat die Sohle in der Hand und ruft laut "Abla!". Wir passen sie an und ich laufe den Rest des Tages wieder schief, dafür aber glücklich. So ist Ahmed, einer der Schuhputzer von Eminönü, den ich nicht vergessen werde.

10 Jahre später bin ich wieder auf der Brücke auf dem Weg nach Eminönü. Diesmal ist es April und der Wind bläst wieder. Das erinnert mich an Ahmet. Ob ich ihn wieder finden werde? Aus der Entfernung mustere ich die Gruppe der Schuhputzer. Nein. Er ist nicht da. Das wäre auch ein zu großes Glück gewesen, ihn 10 Jahre später wieder an derselben Stelle zu entdecken. Ich sehe mir einen Stand nach dem anderen an. Er wird es aufgegeben haben, das Schuhputzen. Ich kann das verstehen. Jeden Tag, bei jedem Wind und Wetter, zwar ein bißchen geschützt, aber dennoch der Witterung ausgesetzt. Da ist dann vielleicht doch irgendwann Schluss mit diesem Beruf. Andere haben seinen Platz eingenommen, warten auf Kundschaft. Alles ist wie immer. Nur eines hat sich verändert. Das Transistorradio ist dem Smartphone gewichen. Sie telefonieren, spielen oder hören einfach nur Musik - und warten auf Kundschaft.

Doch HALT! Ist er das etwa doch? Ja das ist er! Ich gehe auf ihn zu. "Schuhputzen?" fragt er mich höflich? "Nee, jetzt noch nicht," antworte ich und krame in meinem Rucksack. Ich hocke mich vor ihn hin und hole meinen redMac raus. Ich heb doch alles auf, denke ich, da muss ich sie doch noch haben, diese Bilder von damals. Ahmed betrachtet mich amüsiert. "Was machst du da, abla", fragt er verwundert. "Gleich hab ichs, warte", antworte ich und lege den Mac in seine Hände. "Guck." Er guckt und guckt, sagt nix und guckt und guckt. Eine ganze Zeit lang. "Das bin ich," ruft er plötzlich aufgeregt. Er steht auf, nimmt den Rechner und rennt rum. "Das bin ich, guck!" erklärt er der Losverkäuferin, die ein paar Meter weiter steht. Und dann geht er weiter. "Das bin ich!" Jeder Kollege muss sich das anschauen. "Ja das bin ich" murmelt er immer wieder und guckt mich dabei strahlend an.

Irgendwann klappt er den Rechner zu, gibt ihn zurück, ruft seinem Kollegen etwas zu, nimmt meine Hand und schiebt mich in ein Café.
"Das feiern wir. Möchtest Du Tee?" Und er sitzt mir gegenüber und strahlt und erzählt und erzählt. Und wieder mal versteh ich kaum etwas, alles geht so schnell. "Ich komm zurück", verspreche ich beim Abschied, "dann bringe ich Dir das Bild. Und ich bringe Selçuk mit. Er versteht Deine Sprache besser als ich. Dann können wir reden." "Das musst Du mir versprechen" gibt er mir mit auf den Weg. "Ich werde warten. Du weisst ja, wo ich bin." 
Ja, in Eminönü. Auch ihr könnt ihn dort finden.



Irgendwie ist das Leben manchmal doch schön! ...
 ... Irgendwie ist das Leben manchmal doch schön!


Danke Ahmed bey!