Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" – Teil 3

Du hast Deinem Sohn gesagt, wenn er die Salafisten als seine neue Familie ansehen würde, dann solle er gehen und nicht mehr wiederkommen. Seine Familie habe er dann aber verloren. Wie hat er darauf reagiert?  

Er ist geblieben. Ich glaube es war die Liebe seiner Familie, die ihn hat überlegen lassen, doch wieder in die Normalität zurück zu kommen. Ich denke aber, er war noch sehr hin- und hergerissen zwischen dem Extremismus und seinem normalen Leben. Denn das war noch lange nicht das Ende von der Geschichte. Es hat ihn doch noch eine ganze Weile immer wieder zurückgezogen in diese "andere Welt". Ich habe dann aber angefangen, ihm auf eine andere Weise zu zeigen, dass mir das nicht gefällt. Ich bin ihn nicht mehr so direkt angegangen.

Was hast Du anders gemacht?

Naja, immer wenn es Proteste gegen die Salafisten in unserer Gegend gab, da war ich dann vorne mit dabei. Und das war gar nicht so einfach für mich, denn so etwas war ich ja gar nicht gewöhnt.

Bist Du da dann auch wieder alleine hingegangen?

Nein, diesmal nicht. Ich habe meinen ganzen Freundes- und Bekanntenkreis mobilisiert. Und auch die anderen Mütter, die ich mittlerweile kennengelernt hatte. Besonders mit einer, deren Sohn noch minderjährig ist, habe ich mich angefreundet. Denn nachdem die Sache mit meinem Sohn bei uns bekannt geworden war, haben mich plötzlich etliche Mütter angesprochen und mir ihre Sorgen erzählt. Es gab ja auch Mütter, deren Kinder nach Syrien gegangen sind. Die hatten ganz andere Sorgen als ich. Aber irgendwie hatten wir doch alle was Gemeinsames, nämlich die Angst um unsere Kinder.

Du sprichst immer von Deinem Kind. Aber Dein Sohn ist bereits ein erwachsener Mann, oder?

In dem Moment ist es mein Kind, wenn er so fremdgesteuert ist. Und das hab ich ihm auch immer vermittelt. Ich glaube, irgendwann hat er verstanden, was ich meine, wenn ich immer wieder gesagt habe, wage dich nicht mehr zu diesen Veranstaltungen, ich werde auch da sein, und ich krieg dich, ich hol dich da raus.

Und Du bist dann wirklich zu Protestveranstaltungen und Demonstrationen gegangen?

Ja, und solche Demonstrationen waren für mich, aber auch für die anderen Mütter eine ganz neue Erfahrung. Diese Proteste, alle Parteien waren vertreten, von den Grünen bis hin zur NPD. Das war schon ein komisches Gefühl für mich, zusammen mit der NPD gegen etwas zu sein. Ds war damals auch irgendwie merkwürdig, so als würden die Salafisten vor uns, vor den Demonstranten geschützt. Manchmal gab es richtige Absperrungen gegen uns. Und neben uns dann die NPD, man wurde richtig eingekesselt von denen und vor uns, neben uns lauter fremde Leute ... viele mit Trillerpfeifen. Ich auch (lacht).

Und wir Mütter haben dann andauernd geguckt, ob wir nicht doch unsere Kinder irgendwo sehen. Und es gab auch Mütter, die hatten Angst um ihre ziemlich jungen Kinder, wenn einer schon in Syrien war, dann hatten sie Angst, dass nun vielleicht auch noch der zweite auf diese schiefe Bahn kommen könnte. Übrigens war es interessant, dass uns besonders die Konvertiten total böse angeblickt und dumme Sprüche gegen uns von sich gegeben haben. Es gab auch manchmal aufregende Situationen, wenn eine Mutter ihr Kind dann doch gesehen hat. Da war die Polizei aber doch manchmal hilfreich und hat sie durch die Absperrung gelassen, damit sie ihr Kind da rausholen kann. Es war eine verrückte Zeit, manchmal sind wir hinter den Kindern richtig hinterher gehechtet und haben sie eingefangen. Wir haben uns verteilt und uns gegenseitig mit unseren Handys informiert, wenn jemand ein Kind gesehen hat. Und dann haben wir versucht, die zu erwischen. Einmal, das werde ich nicht vergessen, hat ein Paar auf einen jungen Mann eingeredet, er solle mit nach Hause kommen, aber er war so störrisch und hat sie beschimpft. Ich stand direkt daneben. Und irgendwann hat die Frau den jungen Mann losgelassen und hat mit Tränen in den Augen gesagt "dann geh, mach was du willst, du bist frei, aber dann komm auch nie zurück". Und der junge Mann ist dann abgehauen. Auch der Mann hat geweint. Es war eine schlimme Zeit für uns alle, die wir betroffen waren.

Und Du hast das wirklich alles durchgehalten?

Ja, überleg mal, das waren mehrere Jahre. Ich glaube mein Sohn hat auch mit deshalb irgendwann aufgegeben, weil er kapiert hat, diese Frau gibt einfach nicht auf!

Aber ist das nicht eigentlich für den anderen eine unstimmige Sache, wenn er von etwas eigentlich überzeugt ist, dies wegen seiner Mutter aufgibt und nicht aufgrund seiner eigenen Überzeugung? Vielleicht hat er dann lediglich gedacht, gegen die bin ich halt machtlos, die rennt mir ja bis nach Syrien hinterher. Ist das dann nicht eher nur ein Stillehalten und Abwarten auf die nächste Gelegenheit, um dann zu entwischen?

Ja, ich habe ihm gedroht, selbst in Syrien erwische ich dich, ich hol dich zurück! Aber damit war ich nicht allein, da waren noch mehr solche Mütter wie ich es bin. Die waren genauso radikal wie ich. Und vielleicht haben die Jungen dann auch überlegt, wenn unsere Mütter jetzt alle so zusammen sind, gegen die haben wir dann keine Chance mehr. Vielleicht war das wirklich der erste Auslöser, sich wieder etwas von den salfistischen "Freunden" zurückzuziehen. Wir Mütter haben uns gegenseitig richtig abgesprochen, was wir tun und haben uns gegenseitig gestützt. 

Ihr seid schon beeindruckend starke Frauen! Aber wie ist es dann mit Deinem Sohn weitergegangen? Du hast gesagt, er sei wieder zu Euch zurückgekommen.

Ja, ich habe ihm aber überhaupt nicht getraut. Und ich denke heute, die Moschee wollte ihn damals einfach nicht mehr haben.

Wie kommst Du darauf?

Naja, es war doch sehr offensichtlich, dass er mich davon überzeugen wollte, er würde plötzlich dort nicht mehr hingehen. Das war schon sehr merkwürdig, so plötzlich. Ich denke, die wollten ihn nicht mehr. Es war ihnen zu viel mit den Söhnen dieser radikalen Mütter. Und sie haben ihm vielleicht gesagt, geh mal nach Hause und beruhige die erstmal wieder.

Du meinst, sie wollten wieder Ruhe um die Moschee und da verlieren sie lieber Deinen Sohn als einen potentiellen Jihadisten, damit der Moschee nicht zu viel Aufmerksamkeit gewidmet wird?

Ja, genau so.

War Dein Sohn da nicht beleidigt, dass so mit ihm umgegangen wurde?

Ich denke, dass man ihm das nicht offen gesagt hat, man wolle ihn nicht mehr, sondern ihm halt als Aufgabe gestellt hat, die Mutter wieder zu beruhigen, denn bei den anderen radikalen Müttern war es ähnlich. Ich glaube, er hat es damals gar nicht begriffen, dass sie ihn nicht mehr haben wollten. Ja und dann war plötzlich alles anders, er war wieder lieb und ruhig.

Wann war das ungefähr?

Das ist jetzt schon über zwei Jahre her.

Und war dann für Dich plötzlich alles wieder in Ordnung?

Nein, überhaupt nicht. Ich hab ihm nicht getraut, und er hat auch ein doppeltes Spiel gespielt. Ich denke, er ist damals weiterhin in die Moschee gegangen. Freunde haben ihn imer mal wieder gesehen und mich natürlich sofort informiert. Und das hab ich ihm dann auch gesagt. Und da hat er wohl irgendwann die Krise gekriegt, weil er gemerkt hat, egal was er macht und tut, es kommt raus. Immer wieder hat er überlegt, wo ich die ganzen Informationen über ihn herkriege. Einmal hat er mich angeschrien, "machst du jetzt einen auf FBI oder was?!" Diese Kontrolle, die hat ihn total fertig gemacht.

Du hast ja zu der Zeit dann wohl auch nichts anderes mehr tun können, als Dich um ihn zu kümmern, oder?

Ja, bis die Tochter dann irgendwann mal gesagt hat, Mama, mich gibt's auch noch. Und unsere Ehe ist fast daran zerbrochen, da er mich gegen meinen Mann ausgespielt hat.

Wie hat er das gemacht?

Er hat einfach Dinge über mich erzählt, die ein türkischer Mann nicht so gerne hört, und wenn mein Mann nicht so viel Vertrauen zu mir gehabt hätte, dann wäre es bestimmt schief gegangen.

Hat Dein Mann Dir geglaubt? obwohl, ich denke, er hatte ja auch ein großes Interesse daran, dass die Sache mit seinem Sohn wieder in Ordnung kommt.

Ja, klar, und er hat mir vertraut, dass ich den richtigen Weg schon gehen würde. Er wusste auch, dass ich in diesem Fall als Mutter mächtiger war, als er selbst. Er kommt als Mann zwar in bestimmte Kreise eher rein und an viele Informationen eher ran als eine Frau. Aber bestimmte andere Informationen, die habe ich dann eben und er nicht. Mütter sprechen untereinander, informieren sich, geben Hinweise und helfen sich.

Aber wie kommen die Mütter denn an diese Informationen heran, wenn Du sagst, eigentlich ist es mehr der Mann, der alles erfährt?


Das sind ganz verschiedene Informationen. Beim Mann sind es mehr rationale Sachen. Bei den Frauen ist es mehr das Gespür, dem sie nachgehen und durch das sie an die Informationen herankommen. Frauen haben mehr Sensoren, um etwas zu bemerken. Sie bemerken Veränderungen weitaus schneller. Als mein Sohn zum Beispiel anfing, diese blöde Hose anzuziehen, so eine Haremshose, das hat mein Mann überhaupt nicht bemerkt, bis ich es mal laut angesprochen habe. 

Und so haben wir dann begonnen, uns nach seiner Rückkehr in die Familie langsam wieder aneinander heranzutasten, jeder auf seine Weise. Das war ein nicht einfacher Prozess.

Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" – Teil 2

Du hast von Deiner Wut gesprochen, als Du die Entwicklung Deines Sohnes, hin zum religiösen Extremismus erkannt hast. Auf was warst Du so wütend?

Erstmal auf die Religion und natürlich auf diese Moschee. In ihr ist übrigens auch ein deutscher Imam. Und das machte mich noch wütender. Wir als die gebürtigen Moslems waren für die nicht religiös genug! Und ein Deutscher muss meinen Sohn auf die schiefe Bahn leiten! Ich hab gedacht, wieso kann der mehr Macht haben als ich, als seine Mutter, ich mit meiner vielen Liebe? Und das hat mich besonders wütend gemacht, weil der glaubte, meinen Sohn eher leiten zu können, als ich das konnte. Und ich habe natürlich auch Angst gehabt, dass mein Sohn alles hinschmeisst und wirklich ausreist. Aber Vorwürfe habe ich ihm eigentlich nie gemacht. Ich bin ganz offen damit umgegangen, nicht nur ihm gegenüber. Alle, die es wissen wollten, denen habe ich es erzählt und ihnen gesagt, passt auf eure Kinder auf! Dabei bin ich natürlich auch sehr viel angeeckt und habe auch viel Diskriminierung erfahren. Manche haben sogar die Strassenseite gewechselt, wenn sie mich sahen, weil ich ja jetzt die 'Salafistenmutter' war.

Das heisst Du hast es selbst öffentlich gemacht in Deinem Bekanntenkreis?

Ja klar, überall Schule, Verwandtschaft, Freunde ...

Wie hast Du das gemacht?

Naja, er kam ja auch oft seine kleine Schwester von der Schule abholen. Und da hat man mich dann mal gefragt, was denn mit ihm los sei, sein Bart und sein sonstiges Aussehen. Und da hab ich schon geantwortet, ja das stimmt. Und dann wussten sie Bescheid.

Stimmt, Du hast von der Veränderung seines Äußeren berichtet, klar dass das dann auch aufgefallen ist.

Ja und da hab ich dann gesagt er sei im Moment auf einer schiefen Bahn und ich hätte einen Kampf mit meinem Kind, er verleugne uns, und er verachte mich. Das hat er dann ja auch gesagt, ich bin 'ne komische Mutter und nicht wie ein Moslem, sondern wie ein Christ, also aus seiner Sicht nichtgläubig und Nichtgläubige könne man töten. Und eine Zeitlang hab ich auch wirklich darüber nachgedacht, ob er auch mir etwas antun könnte.

Was hast Du ihm denn in solchen Situationen geantwortet?

Ich? Ich bin in die Küche gegangen, hab ein Messer geholt und hab gesagt DA BITTE!
Ja, ich war wirklich richtig krass. Aber wie sollte ich denn sonst mit ihm umgehen? Mit gut zureden war da ja irgendwann nix mehr. Es war irgendwie als käme er mit einem Koffer voller Argumente nach Hause: Wenn Mutter das sagt, dann musst du so argumentieren, wenn Vater das sagt, dann musst Du damit argumentieren ... Das waren niemals seine eigenen Worte. Und einmal – mein Mann hatte noch niemals die Hand gegen ihn erhoben – einmal, als er uns wieder einmal die Scharia schmackhaft machen wollte und mich dann wieder so beleidigt hat und mir Vorwürfe gemacht hat, da hat er ihn verprügelt, aber wie! Und das vor meinen Augen. Das war für ihn wirklich entwürdigend. "Du willst die Scharia, mein Sohn", hat er ihn angeschrien, "dann fühle mal, wie sie dir schmeckt." Und dann hat er ihn rausgeschmissen, mein Mann. Das ist dann eskaliert, und dabei sind sogar einige Möbel kaputt gegangen. Die Scherben sind in der Wohnung rumgeflogen. Fenster, Balkontür kaputt ... Ja, alles zerschlagen!

Was hat er dann gemacht, als er bei Euch rausgeflogen ist?

Er ist zu einem Arbeitskollegen und hat dort mit in dessen Wohngemeinschaft gewohnt. Aber ich habe mich sehr unwohl gefühlt, weil er jetzt weg war, und ich nicht wusste, was er jetzt macht. Und dann, als ich gar nicht mehr konnte, da hab ich mir einfach Hilfe geholt.

Hilfe? Woher hast Du die bekommen?
Ich bin zur Polizei gegangen und habe erzählt, was ich wusste.

Das war sicher keine einfache Entscheidung. Was wolltest Du von der Polizei, und wie ist man dort mit Dir umgegangen?

Ich hoffte, dass sie mir Wege zeigen, wie ich mit meinem Kind umgehen soll. Ich wollte nicht, dass es immer mehr ausartet und sie ihn vielleicht irgendwann mal einsperren. Es gab dort Leute, die sind auf so etwas spezialisiert. Die haben mir Tips gegeben, wie ich mich verhalten soll. Und ich habe der Polizei eigentlich auch nur gesagt, welche Sorgen ich habe. Mehr musste ich gar nicht erzählen, die wussten selbst schon alles. Von ihnen habe ich eigentlich auch erfahren, wie es in der Moschee zugeht, dass dort versucht wird, ein ganz enges Gemeinschaftsverhältnis entstehen zu lassen, damit die Jugendlichen immer mehr an sie gebunden werden. Die Polizei hat mir Details gesagt, und da habe ich gesehen, dass die mir wirklich helfen und mir nicht schaden wollen. Das hat mir gut getan, und ich habe Vertrauen entwickelt. Ich hab dann auch andere Mütter gewarnt, von denen ich wusste, dass mein Sohn mit deren Kindern herumgezogen ist.

Du dachtest erst, dass diese staatlichen Stellen Dir eventuell schaden können?

Naja, weil ich das doch mein Leben lang so erlebt und gefühlt habe. Eigentlich überall, von der Grundschule bis ins Gymnasium und bei der Berufsausbildung, immer habe ich diese Selektion erlebt, hier die und da ich, "die Andere". Egal, wie "integriert" ich mich auch verhalten habe.

Du hast im Grunde schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht und hast Dich dann aber doch an sie gewandt? Da muss Deine Verzweiflung groß gewesen sein.

Ja total schlechte Erfahrungen! Zum Beispiel als ich eine Wohnung gesucht habe, da hat sich der Beamte noch nicht mal nach mir umgedreht und hat lediglich gefragt, ob ich wüsste, wie viele gerade eine Wohnung suchen, und zuerst würden die Deutschen eine bekommen, und dann kommt "ihr". Solche Aussagen musste ich mir anhören. Und zwar oft. Und immer wurde ich geduzt, egal, wie alt ich geworden war. Also, ich habe ein absolutes Misstrauen den deutschen Behörden gegenüber. Aber es war auch umgekehrt, dass ich einstecken musste. Entweder heisst es, oh, du bist aber verdeutscht, oder es heisst, Sie sprechen aber gut Deutsch. Beides ist irgendwie ausschliessend und diskriminierend. Das macht einen auf Dauer misstrauisch den Menschen gegenüber.
Genau das hat mein Kind aber auch erlebt! Ich selbst konnte damit ganz gut umgehen. Ich habe früh gelernt, dass ich immer mehr tun musste, als die anderen. Und meinen Kindern habe ich auch immer beigebracht, man kann noch so integriert ein, man kann deutsche Freunde haben, aber glaubt ja nicht, dass man dazugehört.
Und die Kinder haben ja auch gesehen, welche Erfahrungen ich gemacht habe in meinem Leben. Einiges haben sie sicher mitgekriegt. Und ich denke – und das ist auch der wunde Punkt bei meinem Sohn – diese Selektion haben sie auch erfahren, und zwar noch schlimmer als ich. Und das hat ihn so angewidert, das kam dann später immer mehr raus, in seinen radikalen Sätzen, wie "so gehen die deutschen Christen mit uns um". Er hat sich richtig ein religiöses Feindbild geschaffen.
Aber man kann gegen Diskriminierung auch Strategien entwickeln und sich dadurch auch für das Leben stärken. Man kriegt das Leben nicht auf einem Silbertablett serviert, man muss immer kämpfen. Immer! Und wenn dann etwas gelungen ist, es es umso schöner.

Ja, aber es gibt eben auch die andere Strategie, die der Abschottung und der Kultivierung des Hasses gegen die dominanten Strukturen so dass man so eben solch einen Hass bekommt und ihn so auslebt wie Dein Sohn.

Ja, seine Strategie war es, sich so ein Feindbild zu schaffen. Das waren die Christen, die Ungläubigen und gegen die könne man laut der islamistischen Ideologie nicht nur etwas tun, sondern gegen die müsse man etwas tun, nämlich diesen von der Ideologie vorgeschriebenen Kampf gegen die Ungläubigen auch wirklich führen.

Lass uns noch einmal zurückgehen zu den Hilfen, die Du Dir geholt hast. Wieso bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, Dir Hilfe zu holen.

Naja, ich hab gedacht, ich habe keine Möglichkeit mehr, keine Macht mehr über mein Kind. Und ich hab Angst gehabt.

Hast Du nicht erst versucht, mit der Familie und den Verwandten zu reden?

Klar hab ich das, habe sie alle zusammengetrommelt, sogar die Freunde. Aber das hat ja überhaupt nix gebracht. Egal was die geredet haben, er hat niemanden mehr respektiert.

Habt ihr das alle zusammen gemacht?

Jaja, jeder für sich und alle zusammen. Der Bruder meines Mannes hat ihn zur Brust genommen und hat ihm gesagt, das gehe so nicht, er könne sich Vater und Mutter gegenüber nicht so beleidigend verhalten. Aber er hat nur geantwortet, er hätte ihm gar nix zu sagen.

Habt ihr auch so eine Art Familienrat abgehalten?

Klar, haben wir, und zwar nicht nur einmal. Der Bruder meines Mannes, der der Älteste ist und der auch mit unserer Familie am meisten befreundet ist, selbst den hat er beleidigt und ihm vorgeworfen, er hätte sich von den Deutschen den Kopf verdrehen lassen.

Und wie sind die Verwandten mit diesem Verhalten umgegangen?

Hilflos. Sehr hilflos. Weil es war ja einfach auch nichts zum Anfassen da. Er hatte ja kein Auto geklaut oder so, sondern es war halt einfach sein Denken und Verhalten und dass ich das in der Familie erzählt habe, es öffentlich gemacht habe. Und da haben sie dann halt alle gesagt, so geht das nicht, und sie hätte da schon auch ein Mitspracherecht ihm gegenüber. Das hat ihn übrigens erschreckt, als sie das gesagt haben.

Wieso hat ihn das erschreckt, das ist doch eigentlich in den Familien so. Oder?

Natürlich ist das so. Aber in der Situation war er nicht darauf vorbereitet. Er hatte keine Strategie, wie er damit umgehen wollte, und man hatte mit ihm halt wohl auch nicht über eine solche Situation geredet, was man macht, wenn plötzlich die geballte Verwandtschaft gegen einen auftritt.

Und was hat er in dieser Situation gemacht?

Er hat sich verdrückt, ist zu seinem Arbeitskollegen abgehauen. Aber während des Gespräches ist damals dann auch rausgekommen, wie genau er das im Kopf schon alles geplant hatte, und dass er weggehen wollte.

Und Du hattest dann erstmal gar keinen Kontakt zu ihm, als er weg war?

Nee, gar keinen.

Und wie hast Du das ausgehalten?

Gar nicht. Aber ich hab auch immer wieder über Freunde und Bekannte erfahren, was los ist. Hier kennt ja jeder jeden, und man kann eigentlich nix Unbeobachtes machen. Und ich bin dann oft auch heimlich zur Moschee gefahren und hab geguckt, ob ich ihn sehe. Die ganze Nacht habe ich davor gestanden in meinem Auto.

Hast Du ihn denn dann auch gesehen?

Ja.

Und?

Nix und. Ich hab da die Nacht gesessen und hab geheult. Ich konnte ja nichts machen. Freunde haben mir damals gesagt, ich sollte wegziehen mit der Familie. Aber was soll das? Dann geht er halt in die nächste Moschee, die gibt’s doch überall. Ich hab dann auch versucht, mit denen in der Moschee zu reden. Aber das ging überhaupt nicht, die haben mich noch nicht einmal reingelassen. Ach, das war eine Geschichte, die erzähle ich jetzt besser nicht! Das war eine harte Zeit, über die bin ich bis heute nicht weggekommen, damit bin ich immer noch nicht fertig.

Das heisst Du hattest dann wirklich keinen Kontakt zu ihm, hast ihn nur über diese Heimlichkeiten gesehen?

Ja. Aber irgendwann ging das halt nicht mehr, und ich bin dann eben zur Polizei gegangen.

Und was haben die Dir damals geraten?


Naja, ich soll die Finger davon lassen und mich zurück halten. Aber ich habe so eine Wut gekriegt, dass ich mich selbst radikalisiert habe. Ich bin da raus und war so wütend. Ich hatte auf einmal solch eine Kraft und hab gedacht, jetzt oder nie, entweder nehmen die mir mein Kind jetzt weg, oder ich muss was machen. Ich hab alles öffentlich gemacht, und ich hab getobt und geschrien. Das erzähle ich jetzt lieber auch nicht. Aber es hat wohl gewirkt.

Wie, es hat gewirkt?

Naja, ich denke heute, so durchgedrehte Mütter, die sind halt doch störend, das ist dann doch aufallend, wenn da jemand so vor ihnen rumtobt. Da kann man dann halt nicht so in aller Stille rekrutieren. Und dann haben sie wohl meinem Sohn gesagt, er solle seine Mutter in Schach halten. Ich hab ja nicht nur vor der Moschee gestanden, ich hab mich ja auch lautstark bei Demonstrationen gegen die in die erste Reihe gestellt und getobt!

Allein?!

Ja, allein.

Hast Du niemandem Bescheid gesagt, was Du da machst?

Nein. Niemandem. Auch meinem Mann nicht, die hätten mich ja doch nur daran gehindert. Aber es hat wohl gewirkt, denn dann kamen die Anrufe. Anonym und wieder aufgelegt. Und immer wieder. Solche Angstmacherei. Ja, und dann kam auch irgendwann mein Sohn wieder und meinte, ich solle mich da raus halten, er werde da nicht mehr hingehen. Und dann hat es mit den anonymen Anrufen auch aufgehört. Heute glaube ich, ich habe die so provoziert, dass sie meinem Sohn gesagt haben, geh nach Hause und halte bitte deine Mutter in Schach. Aber als er dann wieder kam, da habe ich ihm ganz klar gesagt, jetzt entscheidest du dich. Entweder für deine Famile oder für diese andere Familie. Und wenn du denkst, die anderen sind deine neue Familie, dann bitte geh! Dann werde ich mich aber auch von dir verabschieden und möchte das dann auch offiziell machen. Dann geh und komm bitte nicht mehr wieder. Dann hast du uns alle verloren.

Das hast Du ihm gesagt?!


Ja, was sollte ich denn tun? Es war meine letzte Chance und ich hoffte, er liebt seine Familie und er bleibt.

(wird fortgesetzt)

Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" – Teil 1

  
Ich treffe Zehra in einem Vorort von Hamburg. Sie will mir von sich berichten, erzählen "wie ich ihn da rausgeholt habe, meinen Sohn, raus aus diesem radikalen islamistischen Sumpf." Wir sitzen in einem kleinen Café.
Ich beginne mit meinen Fragen. "Warum wolltest Du eigentlich mit mir sprechen?" "Ich will" so erhalte ich zur Antwort "ich will betroffenen Familien sagen, dass noch nicht alles verloren ist, wenn ein Sohn sich plötzlich den Bart wachsen lässt und zu Hause erzählt, man praktiziere nicht den richtigen Glauben und man sei auch nicht besser als all diese Kuffar." [1]

Zehra hat gekämpft um ihren Sohn, der auf dem Weg war, in den Jihad zu ziehen. Es war ein nervenzerreibender jahrelanger Kampf. Aber sie hat ihn durchgestanden. Meistens allein, im Hintergrund aber immer gestützt von ihrer Familie.

Wie und ab wann hast Du überhaupt bemerkt, dass Dein Sohn sich ernsthaft mit dem Jihad auseinandergesetzt hat? 

Bemerkt hab ich erstmal gar nix. Da gab es vielleicht ein paar äußerliche Anzeichen, die ich in Richtung einer religiösen Einstellung deuten konnte, aber das waren nur äußerliche Anzeichen. Und diese Zeichen seiner Veränderung hab ich mehr mit der Depression in Zusammenhang gebracht, in der sich mein Sohn damals befunden hat.
Vor ungefähr drei Jahren hat diese äusserliche Veränderung begonnen. Er fing an den Koran zu lesen bzw. zu hören. Und er erklärte immer, das sei wichtig und wie eine Medizin für ihn. Gut, dachte ich, es ist gegen seinen Liebeskummer und gegen die Depression, denn er war gerade von einem Mädchen verlassen worden. Und eigentlich war ich auch froh – das sagen übrigens auch viele Mütter – und dachte, wenn es ihm gut tut, dann lassen wir ihn halt. Und das ist genau das Fatale beim Beginn einer solchen radikalen Entwicklung, denn ihnen wird beigebracht, haltet euren Vater und eure Mutter still. Und das hat er dann auch gemacht. Er wurde immer stiller, hat nicht mehr widersprochen, war brav, hat mich nicht mehr verletzt. Und so hat er auch mich still gehalten, denn er gab mir keinen Grund, ungehalten zu sein. Aber der Bart, der ist dann langsam immer länger geworden. Das ist mir dann doch aufgefallen.

Und wie hat sich das Ganze dann weiter entwickelt?

Also erst hat er ja nur den Koran zu Hause gelesen. Aber dann hat er auch die Moschee gewechselt und ist von unserer DITIB-Moscheen [2] weg und hin zu einer anderen gegangen, zu einer dieser Salafisten-Moscheen.

Wie hast Du das bemerkt?

Die Leute haben uns das zugetragen. So wie das bei uns halt ist. Mein Mann geht ja in die Moschee. Man kennt sich und man spricht miteinander. Und so haben die Männer dann meinen Mann angesprochen und ihn gefragt, wieso geht denn dein Sohn jetzt in diese fundamentalistische Moschee? Aber mein Mann ist da immer noch nicht wach geworden. Er hat meinen Sohn mal darauf angesprochen. Doch dieser hat ihn beruhigt und gemeint, unter den Türken würde so viel getratscht, das passe ihm nicht, er wolle einfach nur aus dem Koran hören, darum habe er gewechselt. Ja, und darauf sind wir reingefallen.

Hat Dein Sohn damals noch zu Hause gewohnt?

Ja, das hat er. Und da er die türkische Sprache nicht so gut kannte, dachten wir, lassen wir ihn ruhig in diese Moschee gehen, wenn es ihm dabei doch so gut geht. Obwohl, wenn ich mich rückerinnere, ich habe schon damals immer ein Auge darauf gehabt. Aber als er so freundlich und versöhnlich wurde, und die körperlichen Symptome seiner Depression auch abgenommen haben, da habe ich mich wieder beruhigt. Und auch das war eben das Fatale.

D.h. Du hattest schon ein ungutes Gefühl, als er die Moschee gewechselt hat?

Ja, das war mir schon verdächtig. Denn diese Moschee ist berühmt dafür, dass sie sehr radikal ist und dass dort angeblich auch rekrutiert wird. Es gab etliche Medienberichte über diese Moschee, daran erinnerte ich mich dann auch und da habe ich schon manchmal gedacht, oh oh, da stimmt was nicht.

Wieso hast Du Dich überhaupt mit dem Thema einer eventuellen Radikalisierung beschäftigt? Wieso hast Du Dir gerade diese Medienberichte gemerkt? Es geht doch so Vieles an einem vorbei und man erinnert es nicht. Offensichtlich aber dieses Thema nicht, oder?

Ja, ich denke, weil man in seiner Umgebung doch immer wieder davon gehört hat, aber man denkt dann ja meist, es betrifft immer nur die Anderen. Ich hatte zwar im Hinterkopf, dass es da eine Moschee gibt, in der Kinder für Syrien rekrutiert werden. Ich wusste das aber nur vom Hörensagen und dachte, mich würde das nie betreffen. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Und dann bin ich ihm aber doch mal gefolgt. Ja und dann habe ich es gesehen, wie er da rein ging und wie der mit diesen Radikalen dann wieder raus kam aus dieser Freitags-Moschee. Ja, und von da an habe ich angefangen zu recherchieren und habe ihm dann auch Fragen gestellt. Er hat mir damals sehr patzige Antworten gegeben und hat alles geleugnet. Aber er hat mich auch mit Vorwürfen konfrontiert, ich würde mich nicht auskennen, keine richtige Muslima sein ... . Und so habe ich bröckchenweise bemerkt, wie er uns eigentlich moralisch verurteilt. Wir seien keine richtigen Moslems, wir hätten ihn nie in die Moschee gebracht, hätten ihm keine richtige islamische Erziehung gegeben und und und. Wir hätten ihn niemals daran gehindert, Diskotheken zu besuchen und hätten auch nichts gegen sein "high life" gesagt. Es kamen Vorwürfe über Vorwürfe, aber an seiner Wortwahl und dem, was er da so alles gesagt hat, hat man schon gemerkt, dass das nicht sein Eigenes war, sondern dass man ihm da auch vieles in den Mund gelegt hat.

Als Du diese Vorwürfe zu hören bekamst, was hat das mit Dir gemacht, wie hast Du Dich dabei gefühlt und vor allem, wie bist Du damit umgegangen?

Ich war wütend. Richtig wütend!

Wütend auf wen oder auf was?

Wütend auf diese Moschee und darauf, dass mein Sohn so naiv sein kann, auf solches Gerede reinzufallen und dass er seine Eltern so verurteilen kann.

Diese Vorwurfshaltung ist ja normalerweise in den Familien mit türkischem Hintergrund, die ich kenne, so nicht üblich. Eltern gegenüber hat man höflich zu sein, zumindest nach außen hin, egal was man innerlich denkt.

Das war auch die ganze Zeit so, bis ich eben seine Ambitionen aufgedeckt habe. Das war für ihn das Unangenehme, und es war seine Art, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Heute weiss ich, wie wichtig es für die Rekrutierungen ist, dass die jungen Leute ihre Eltern still halten. Eltern, die aufmucken und sich gegen die Veränderungen ihrer Kinder wehren oder sogar etwas dagegen in die Wege leiten, das schafft unangenehme Aufmerksamkeit, die nicht erwünscht ist. Die jungen Leute werden daher angehalten, ihre Eltern ruhig zu halten, damit mit möglichst wenig Aufmerksamkeit für den Jihad weiter rekrutiert werden kann. Hat jemand also laute Eltern, schafft das Probleme in der salafistischen Gemeinschaft. Daher hat er dann ja auch mit allen Mitteln versucht, uns irgendwie in Schach zu halten.

Wie ist das denn mit Dir gewesen, als Du irgendwann angefangen hast, die Situation zu begreifen? Hast Du auch mal nachgedacht, wie das passieren konnte, und ob Du da irgendwas falsch gemacht hast? Müttern sagt man ja immer wieder nach, dass sie die Fehler oft erst einmal bei sich suchen.

Nein, noch nie! Ich mach mir keine Vorwürfe! Und ich lasse mir das auch von niemandem einreden. Wir haben unseren Kindern immer andere Werte mitgegeben, es ist egal ob jemand Christ oder Moslem ist. Es sind allgemeingültige menschliche Werte, die wir ihnen vermittelt haben. Also, dass er nicht klauen soll, dass er niemanden umbringen soll, dass er nicht lügen soll, dass er Menschen nicht verachten darf, sondern im Gegenteil, dass alles mit Liebe gemacht sein soll. Nein, da muss ich mir keine Vorwürfe machen!

Es waren übrigens auch nicht nur die Leute in der Moschee, die ihn beeinflusst haben. Eigentlich fing alles an mit diesem Pierre Vogel. Von dem hat er sich Videos angesehen. Ein Freund hatte die mitgebracht. Und dann ging es erst richtig ab. Die haben sich richtig gegenseitig hochgestachelt und mitgerissen. Auf der einen Seite die Moschee und dann noch die Freunde! Einige haben sich dann zwar fern gehalten und nicht mitgemacht, aber einige doch. Das war wie ein neuer Lebensabschnitt, so kommt mir das heute vor. Abenteuer pur. Wow, wir können an die Waffen, denn da ist ja Krieg, und alles für eine humanitäre Sache! Das hat ihnen gefallen.

Was hat sie mehr fasziniert, Hilfe zu leisten oder in den Krieg ziehen zu können? Wie siehst Du das heute?

Am Anfang war das wohl eher mehr der Krieg. Also richtig an die Waffe gehen und kämpfen. Und er hat sich wirklich eingebildet, dass er da für etwas Gutes kämpfen würde und auch muss. Ich hab ihm immer versucht zu erklären, kämpfe doch mit deinem Kopf, nimm doch dein Gehirn als Waffe. Aber das hat er nicht angenommen. Er warf mir vor, ich sei zu verdeutscht. Ich wäre zu freundlich sein, und es kämen jetzt auch härtere Zeiten, Moslems würden sterben und die ganze Welt schaue einfach zu.


Er hat ja da auch gar nicht so Unrecht. Wenn ich an den letzten Gaza-Krieg denke: grauenhaft. Es war entsetzlich. Und die Verwüstung und Zerstörung sieht dort bis heute noch so aus. Nichts hat sich verändert und die Situation der Palästinenser dort wird von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen.




Ich habe ihm auch gesagt, natürlich ist das schlimm. Aber vor Ort zu helfen muss nicht unbedingt mit der Waffe sein, um dann an vorderster Front zu sterben und fertig! Da hilft man doch Niemandem. Aber egal, was ich gesagt habe, kein Wort hat geholfen.


Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" (2) 
Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" (3)
Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" (4)




[1] Kommt vom arabischen Kāfir und bezeichnet „Ungläubige“ oder „Gottesleugner“.
[2] Moschee der Türkisch Islamischen Union (Diyanet İşeri Türk Islam Birliği)