Al-hisan - Das Freiheits-Pferd im Lager von Jenin




Von CHH - Dezember,  2024


Die Vor-Geschichte ist schnell erzaehlt. Im März 2002 ist Dr. Khalil Suleiman während des Einmarsches der Besatzer in das Lager Jenin im Rahmen ihrer Militäroperation 'Schutzschild' (1) auf dem Weg, ein verletztes Mädchen zu behandeln. Der Krankenwagen, in dem er unterwegs ist, wird von einer Brandbombe getroffen, abgefeuert von der israelischen Armee. Dr. Khalil Suleiman wird getötet, und zwei seiner medizinischen Mitarbeiter sind schwer verletzt. Zu seinen Ehren wird das staatliche Krankenhaus später nach ihm umbenannt.

Und da ist noch dieses Pferd am Eingang von Jenin, als Mahnmal und Zeichen des andauernden Widerstandes, und zum Gedenken an die vielen helfenden Hände gegen die militärischen Zerstörungen während der andauernden Besatzung. Der deutsche Bildhauer Thomas Kepler baute es zusammen mit Jugendlichen und Bewohnern, als er 2003 das Lager besuchte. „Das Pferd, das nun hoch erhoben und stolz dasteht" beschreibt der palästinensischer Politiker Issa Qaraqe "wurde aus den vielen Kugeln gebaut, die in den Straßen und Gassen des Lagers gesammelt, sowie aus den Überresten der zerstörten Häuser, die über den Köpfen ihrer Bewohner abgerissen wurden.“ (2). Als Kepler die Statue mit Wrackteilen von den beschädigten Autos umspann, waren unter diesen auch Teile des Krankenwagens, in dem Dr. Khalil Suleiman getötet worden war. Ein Metallstück mit der Aufschrift "Red Crescent Society" soll an die andauernden Angriffe auf medizinisches Personal in ganz Palästina erinnern. Die Statue wurde an dem Ort errichtet, der als provisorischer Friedhof für die Gefallenen der damaligen Schlacht dient. Der Kopf des Pferdes zeigt in die Richtung der Stadt Haifa, aus der die meisten Bewohner des Lagers Jenin vertrieben wurden.
Zwanzig Jahre hat das Flüchtlingslager Jenin ihr Freiheitspferd behalten, bis es von den Besatzungstruppen im Oktober 2023 vom Osteingang des Lagers entfernt wurde. Bei ihrem Angriff auf Jenin griff die Besatzungsarmee das Pferd nicht nur an, sondern sie "verhaftete" es. Sie schleppte es einfach weg. Ein Bulldozer fuhr mit dem Pferd am Regierungskrankenhausgenau vorbei - und mit ihm die Überreste des Krankenwagens, in dem Dr. Khalil Suleiman ermordet wurde - und verliess mit ihm das Lager.



"Sie haben uns das Pferd gestohlen", ist von den Bewohnern in Jenin zu hören, "um die Erinnerung an ihre Taten auszulöschen." Aber man kann Geschichte nicht auslöschen. Denn das Pferd wurde genau an dem Ort errichtet, an dem im April 2002 das Massaker an den Bewohnern des Lagers stattfand. Man kann dieses Denkmal zwar stehlen, aber es wird nicht gelingen, die Erinnerung an seine schmerzhaften Mahnungen zum Schweigen zu bringen. Längst ist das Jenin-Pferd weit über die Grenze des Lagers hinaus zu einem Symbol geworden. Es "wiehert in Jerusalem, Gaza und Galiläa," schreibt Isaa Qaraqe und preist seine machtvolle Stimme "Es schützt unsere menschlichen, kulturellen und zivilisatorischen Inhalte vor Entleerung, Auslöschung und Vernichtung." (2)

Denkmäler erinnern in der Zukunft nicht nur an die Vergangenheit."Sie lehren uns auch etwas über die Gegenwart," schreibt Rana Barakat, Dozentin an der Birzeit-Universität, denn "ein Denkmal entsteht aus den Überzeugungen, der Politik und den Anliegen seiner eigenen Zeit." (3) Heute werden diese Zeugnisse „Gegendenkmäler“ genannt, da sie, "anstatt schmerzhafte Erinnerungen sicher und distanziert in gefühllosen Stein zu versenken, die Erinnerung lebendig halten." Solche "Gegendenkmäler" sollen sowohl die Opfer ehren, als auch die Verantwortung an vergangenem und/oder fortdauerndem Unrecht wachrütteln. Rana Barakat sieht das Jenin-Pferd daher als ein solches Gegendenkmal, als ein "Symbol für genau diese Art andauernder Gewalt, die noch nicht beendet ist und so keines Gedenkens oder einer Erinnerung bedarf" (4).

Weil es nicht aber gelingt, den Widerstand in Jenin zu zerschlagen, wird versucht, ein falsches Bild des Sieges zu erschaffen, indem Erinnerungen einfach aus dem Weg geschafft werden, so, als hätte das Morden in Jenin gar nicht stattgefunden. Im Grunde kann die Entfernung dieser Freiheits-Statue durch die Besatzer als das Symbol ihrer Niederlage gesehen werden und als Mahnung, dass begangenes Unrecht nicht durch Morde und durch das Verschwindenlassen ihrer Symbole zum Schweigen gebracht werden kann.


Der kleine Steine-Verkäufer in Jordanien

Von CHH - September 2024

Es ist schwer, an die Zukunft von morgen zu denken,

wenn wir heute nicht genug zu essen haben.

 

Ich laufe durch Petra. Es ist heiß und staubig. An der Seite der Straße entdecke ich einen kleinen Steinhaufen und blicke um mich, neugierig, wer diese dort wohl platziert hat. Da erscheint er, der Besitzer dieser Steine, der unter einem Busch nach etwas Schatten gesucht hat. „Guck mal, schöne Steine“, preist er seine Ware an und erklärt,“ich mache dir einen guten Preis.“



Sie sind wirklich schön, seine Steine. „Wo hast du sie her?“ „Selbst hier in Petra gesammelt,“ erklärt er stolz. „Jeden einzeln habe ich besonders ausgewählt, guck!“ Er nimmt einen in die Hand, streicht den Staub weg, poliert ihn und reicht ihn mir mit einem Blick, als sei dies ein sehr seltener Edelstein.

 

Dieser Junge berührt mich. Er sollte in der Schule sein. Aber er sitzt in der Hitze unter einem kleinen Busch und versucht, Fremde wie mich zu finden, die seine Situation traurig macht und die ihm dann einen Stein abkaufen.

 

Ich suche mir zwei Steine heraus. Neben mir bleibt eine der vorbeiziehenden Touristinnen stehen. „Schöne Steine“ sinniert sie und fährt fort, als wolle sie sich mir gegenüber entschuldigen, „er tut mir leid, der Kleine, aber ich kann ja meinen Koffer nicht mit Steinen auffüllen.‘

 

Der Junge wickelt die beiden Steine vorsichtig in ein kleines Stück zerrissenes Plastik, so, als verpacke er ein wertvolles Schmuckstück. Ich suche in meiner Tasche nach etwas Geld, finde aber nur einen 20 Dinar Schein. „Kein Problem‘, sagt der Junge jovial und holt aus seiner Hosentasche ein Bündel Geldscheine, um mir den Schein zu wechseln.




Ich gebe ihm fünf Dinar und nehme die Steine, um sie ebenso vorsichtig in meiner Tasche zu verstauen. „Gib ihm doch nicht so viel Geld,“ seufzt da die Touristin. "Wenn Du das überall so machst, dann verdirbst du ja die Preise. Von wo kommst Du denn her?! Hier im Orient musst man mit denen doch handeln! Sonst halten sie dich für dumm und hauen dich übers Ohr. 50 Cent wären doch wirklich reichlich gewesen für diese beiden Steine! Du bist wohl das erste Mal hier in Jordanien. Hier musst Du aufpassen. Sie nennen dir hohe Preise und ziehen dir so das Geld aus der Tasche.“ Kopfschüttelnd zückt sie ihre Kamera und zieht weiter.




Mir hat noch niemand das Geld ‚aus der Tasche gezogen‘ in den sieben Jahren, die ich mich nun schon in diesem Land aufhalte, an einer Deutsch-Jordanische Universität (GJU) arbeite und mit den Studierenden Projekte für diejenigen Kinder aufbauen will, die keine Schule in der Nähe haben und auch von keiner staatlichen oder humanitären Organisation eingesammelt werden, um dann mit Bussen in die nächstgelegenen Schulen gebracht zu werden (1).

 

„Er wird bestimmt ein guter Edelstein-Händler,“ erklärt mir sein Vater, der sich in der Zwischenzeit zu uns gesellt hatte. „Alle müssen mithelfen, in der Familie. Es ist nicht einfach, das Leben hier,“ fügt er etwas verlegen hinzu, wohl wissend, dass der Platz seines Sohnes eigentlich in einer Schule sein sollte. „Er liebt Steine, kann mit Geld umgehen und kennt die Gepflogenheiten der Touristen.“ Der Vater strahlt. “Er braucht keine Schule für diesen Handel, das haben sie mir gesagt. Er muss das aber von klein auf lernen. Dann schafft er das schon!“