Kurdische Akademiker Tagung: Schafft die Republik sich ab?

Grund- und Freiheitsrechte auf dem Prüfstand. Wohin driftet die Türkei? (1)


Herzlichen Dank für die Einladung zum heutigen Tag, die ich gerne angenommen habe. Eingeladen wurde ich wohl stellvertretend für alle diejenigen Akademikerinnen und Akademiker in Deutschland, die das Geschehen in der Türkei aufmerksam und erschrocken betrachten und mit Sorge fragen, ob die Bevölkerung im Land nicht mittlerweile so tief gespalten ist, dass eine friedliche Lösung der gegenwärtigen Konflikte kaum noch möglich ist. 


I.
Als ich mich mit den Veranstalterinnen vor Monaten absprach, zu welchem Thema ich mir Gedanken machen sollte, ging es noch um die Frage, ob sich die Grund- und Freiheitsrechte in der Türkei auf dem Prüfstand befänden. Heute müssen wir konstatieren, dass sich das Thema wohl überholt hat. In der Türkei sind seither Veränderungen mit einer solchen Geschwindigkeit im Gang, die einem zum Teil den Atem rauben und einem die Worte zur Bewertung des Ganzen immer öfter im Halse stecken bleiben. Denn heute geht es m.E. nicht mehr um ein Nachdenken darüber, ob die Republik sich abschaffen will. Heute geht nur noch darum, ob es dieser Republik wirklich gelingt, sich selbst abzuschaffen.

Da soll ein Jemand per Gesetzesänderung unbegrenzte uneingeschränkte Macht erlangen und die Freiheit erhalten – aber auch die Befugnis – ohne Kontrollinstanz die Geschicke eines Landes innen- und außenpolitisch zu lenken. Über eine solche Änderung der bestehenden Verfassung stimmte die Mehrheit des Parlaments der Türkei in den letzten Tagen ab. Hierzu wird sicherlich gleich Konkreteres berichtet. Wichtig ist jedenfalls, dass das Parlament beschloss, es einem Volksentscheid zu überlassen, ob es sich selbst abschaffen und die Macht in die Hände einer einzigen Person legen soll. 

Im Allgemeinen werden Volksentscheide als ein demokratisches Mittel zur Willensbekundung der Bevölkerung angesehen. Nach Umfragen in der Türkei sind es gegenwärtig jedoch 78% der Bevölkerung, die überhaupt nicht wissen, mit welchen Konsequenzen eine solche Entscheidung verbunden ist, und welche Auswirkungen diese Verfassungs-Veränderung für das Zusammenleben im Lande hätte. D.h. ein solcher Volksentscheid kann gegenwärtig gar keine Willensbekundung der Bevölkerung sein. Im Gegenteil. Mit der Befürwortung dieses Gesamtpakets an Gesetzesänderungen würde dem Volk seine Souveränität ohne vorherige Aufklärung einfach entwendet und in die Hände nur einer Person gelegt. „Vertraut uns, stimmt mit ja - EVET - und alles wird gut“ so ungefähr können wir uns die jetzige Aufklärungskampagne staatlicherseits vorstellen, „wählt den starken Mann, er wird sich dann schon um euch kümmern und hört auf, euch Gedanken und Sorgen zu machen.“

Hinzu kommt das mittlerweile bekannte Spiel mit der Angst. Denn wird Aufklärung öffentlich betrieben, um Argumente auch für ein „HAYIR“, ein Nein zu benennen, dann werde man schon wissen, so Sedat Peker sinngemäss, wie dies zu unterbinden sei. Und die Ausführungen dieses Mannes, das hat die Vergangenheit gezeigt, sind absolut ernst zu nehmen.

II.
Wir haben uns heute aber nicht als interessierte Privatpersonen versammelt, sondern als Akademikerinnen und Akademiker, die einen Diskurs darüber führen wollen, ob diese Türkei als Republik sich gegenwärtig abschafft, und wie sich dazu zu positionieren ist.

Es gilt, die Grund- und Freiheitsrechte in der Gesellschaft zu bewahren. Ja, natürlich. Immer und überall. Aber um welche Rechte, um welche Freiheit geht es denn da überhaupt noch? Hat sich diese Frage aus der Sicht der Machthabenden nicht schon längst beantwortet, ja sogar erledigt? Oder vielleicht doch noch nicht? Was ist zu tun? Jetzt, heute, morgen und in der nahen Zukunft?

Gestatten Sie mir dazu einen kurzen Rückblick. 

Vor einem Jahr erreichte mich am frühen Morgen ein Hilferuf aus der Universität Kocaeli. Kolleginnen und Kollegen würden verhaftet. Sie hatten den mittlerweile weltweit bekannten Friedensaufruf initiiert und verbreitet, in dem für eine friedliche Lösung des kurdischen Konfliktes eingetreten und dafür geworben wird. Sie erinnern sich sicher, eine Welle weltweiter Empörung unter den Akademikerinnen und Akademikern war die Folge. Allein die vom Kollegen Cağlar und mir verfasste Erklärung zur Unterstützung dieses Aufrufes und zur Entkriminalisierung der Verfasserinnen und Verfasser durch die Akademikerschaft an den deutschen Hochschulen haben über 6.000 Personen unterzeichnet. Und das ist nicht der einzige Aufruf, der in Deutschland verfasst wurde. (2)
In anderen europäischen Ländern geschah das Gleiche. Und nicht nur dort.
Keiner von uns hat sich damals vorstellen können, mit welcher Geschwindigkeit die Situation im Lande weiter eskalieren würde.

Diese Entwicklung hat sich aber m.E. nicht erst zu Beginn des letzten Jahres abgezeichnet, als massiv versucht wurde, die Geschehnisse im Osten des Landes zu legitimieren und/oder zu verheimlichen und Andersdenkende zu „Vaterlandsverrätern“ oder gar zu „Terrorsympathisanten“ abzustempeln. Auch der gescheiterte Putschversuch Mitte letzten Jahres  ist m.E. nicht die wirkliche Ursache der gegenwärtigen Entwicklung. Es ist eher die Sorge um einen möglichen Machtverlust der gegenwärtig Regierenden und die Anstrengung, sich die weiterhin Macht auf Dauer zu sichern, koste es was es wolle.

Und diese Sorge begann, wie im Vorspann zum diesjährigen Fachtag von den Veranstalterinnen beschrieben, mit einem ganz konkreten Ereignis am 7. Juni im Jahr 2015. Ein Tag, den ich in Istanbul erlebt habe:
An diesem Sonntag lag über dem Stadtteil Tarlabaşı eine angespannte Ruhe. 
Wenige waren auf den Straßen. Etliche Autos am Rande. Das wars.
Dann zeichnete sich das Ergebnis der Wahl ab. Von einer Sekunde zur anderen begann der gesamte Stadtteil zu beben. Ein Trillern, ein Klatschen, ein Rufen und Schreien, Autohupen, Autokorsos, plötzlich kurdische Fahnen überall. Und alle strömten um die Ecke in Richtung HDP Büro.  Das hat nicht aufgehört in dieser Nacht, das Singen und Tanzen, das Hupen … Dieser kaputte, vergessene Stadtteil Istanbuls hatte sich in Sekundenschnelle in ein kunterbuntes Etwas verwandelt. 
Frauen in ihren schönsten Gewändern, Männer mit Fahnen und lautem Hupen und überall  Musik. Tanz die ganze Nacht hindurch, es war unbeschreiblich.

Und genau das gab m.E. den Anlass zur Sorge. 
84 % der Bevölkerung hatten gewählt.
Nur 40,87 % stimmten für die AKP.
Und 13,12 % stimmten für die HDP.
Das war eine Revolution. Das hatte niemand erwartet. 
Und das wurde in der Nacht nicht nur in Tarlabaşı gefeiert. 
Friedlich, freundlich, offen und glücklich.

Und heute? 

Vor ein paar Wochen, am Abend des 31.12. mit dem Flughafenbus ankommend, 
da war Tarlabaşı für mich mit Gittern abgesperrt. Ein Durchkommen war nur Einzeln möglich, mit vorheriger Ausweiskontrolle. 17.000 Polizisten waren an diesem Abend im Einsatz, rund um Taksim und Istiklal. Geholfen hat es nicht, das geplante Attentat zu verhindern. Es war dann eben nicht auf Istiklal, sondern fand in Reina statt. 

Warum erzähle ich das?
Diese beiden Ereignisse symbolisieren für mich den Anfang und den jetzigen Ist-Zustand als eine Art Zeitschiene dieses Prozesses, den wir alle beobachten konnten, und der eben nicht erst seit dem gescheiterten Putschversuch seinen Lauf nahm.  Im Grunde hat er genau mit dem Juni 2015 seinen Anfang genommen. Und es ist überhaupt nicht absehbar, ob die Chance noch besteht, dass sich in naher Zukunft wieder etwas zum Guten wenden könnte.

D.h. nicht der Putschversuch, nein, die Wahl im Juni 2015 UND wie dann in der Folgezeit mit der HDP von ALLEN anderen Parteien umgegangen wurde, um jeweils die eigene Macht zu stabilisieren und perspektivisch nicht wieder zu verlieren. Das ist für mich der eigentliche Wendepunkt. Und dabei habe ich nicht nur das Verhalten der Regierungspartei und ihr Anhängsel – die MHP – im Blick.
Seitdem ist vermehrt zu beobachten, wie allein aus dem Machterhaltungs-Grund die Grund- und Freiheitsrechte im Land Zug um Zug so stark und so bedrohlich eingeschränkt werden, dass sich Opposition dagegen kaum noch regen kann, bzw. sofort als illegal unterbunden wird. Da muss man auch gar nicht erst in den Osten des Landes fahren – falls man da überhaupt noch hingelassen wird – um die Stimmung zu spüren, die sich seit dieser Wahl Zug um Zug wie ein Teppich über das gesamte Land gelegt hat. Besorgnis, Vorsicht und ängstliche Stille. 

III.
Lassen Sie uns diese Entwicklung einmal aus der Perspektive unseres Berufsstandes betrachten. Welche Aufgabe haben Wissenschaften, haben unsere jeweiligen Fachdisziplinen in der Gesellschaft? Und insbesondere in einer solchen Situation, in der sich die Türkei gegenwärtig befindet? 

Jeder Berufsstand hat seine eigene Kultur, sein ethisches Korsett. Und das gilt für unsere Wissenschaftscommunity ebenfalls und zwar weltweit. Dazu gehört, dass  Wissenschaft im Dienste des Menschen steht und dass sie nicht im Dienste des Staates zu stehen hat. In diesem festgelegten und nicht hinterfragbaren Rahmen bewegen sich die Aufgabenstellungen in unserer jeweiligen Fach-Disziplin. 
Nicht nur in Deutschland, sondern in den Ländern der westlichen Welt ist dabei grundlegender Konsens, dass „Wissenschaftler … in Staat und Gesellschaft die Aufgabe (haben), Wissen und Erkenntnis zu mehren und zu vermitteln sowie Kraft ihrer Expertise Legislative, Exekutive und Jurisdiktion zu beraten.“ 
Für Deutschland ist das beim Deutschen Hochschulverband nachzulesen. 
Dort heißt es weiter: „Wissenschaftler sind zur Unparteilichkeit verpflichtet. .., 
Wissenschaft ist weisungsfrei. Und: Ihre Unparteilichkeit steht unter grundrechtlichem Schutz.“ 

Es ist nach unseren Wissenschaftsstandards daher nicht nur Aufgabe, sondern sogar unsere Pflicht, bei gesellschaftlichen Konflikten nach friedlichen Lösungen zu suchen und die Politik auf diese hinzuweisen. Akademikerinnen und Akademiker aus diesem Grunde zu diskriminieren, ja sogar zu verfolgen ist untragbar und widerspricht drüber hinaus ihrem grundrechtlich verbrieften Auftrag. Unsere Empörung in der westlichen Welt über den Umgang mit jenen Akademikerinnen und Akademikern ist berechtigt. Und eigentlich brauchen wir das überhaupt nicht gesondert zu begründen. 

Dass dies für alle anderen gesellschaftlichen Gruppen und Individuen ebenfalls gilt, ist selbstverständlich und gehört mit in den Kontext unserer Analysen. Eine Gesellschaft, in der das eigenständige Denken zunehmend verboten wird und man versucht, die Bevölkerung in parteipolitisch und/oder religiös Vorgedachtes hineinzuzwängen, um diese umzuformen, begibt sich in Gefahr der Indoktrinierung. Denn entwickelt sich dieses parteipolitisch Vorgedachte zu einem geschlossenen System, entsteht auf Dauer ein Druck in der Bevölkerung, der zu einem explosionsartigen Ausbruch kommen kann. 
Das hat uns die Geschichte doch zur Genüge bewiesen.

Und Druck durch Angst in Schach halten zu wollen, in der Hoffnung, dadurch entstandene Spannungen abfangen und deckeln zu können, um eine Entladung zu verhindern, hat meines Wissens noch nirgendwo funktioniert und wird auch in der Türkei nicht funktionieren. 
Man täte also gut daran, Dialoge nicht zu kappen, sondern im Gegenteil, von der vorhandenen Vielfalt zu profitieren, anstatt diese zu verbieten. Doch das geschieht ja mit aller Macht.

„Wir haben den Zeitpunkt verpasst, als man das Rad noch hätte zurückdrehen können“, bekomme ich bei meinen Besuchen in der Türkei zu hören. „Die Opposition ist zu schwach, zu uneinig, und wir schaffen es nicht, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.“ Dann macht sich wieder diese Resignation breit und die Diskussion verstummt. 

Ist der Riss, ist die Spaltung in der Gesellschaft wirklich so tief, dass durch die Unterbindung der Meinungs- und Informationsfreiheit das Denken in Richtung auf eine positive Zukunft verunmöglicht wird?

Hat die berechtigten Angst, durch die aktuellen Etikettierungen als „Gülensympathisant“ oder „PKK-Sympathisant“ in die Terroristenecke gestellt zu werden zur Folge, das eigene Handeln zu lähmen? Denn wer in diesem „Kampf um das Böse“, dem „Kampf gegen den Terror“ selbst zum Terroristen wird, das haben wir bemerkt, ist weniger durch reale Tatsachen, als durch politisch inszenierte Meinungen bestimmt. Hinzu kommt, dass „Terrorismus“ ein schwammiger und undefinierter Begriff ist, unter den alles passt. Paart man ihn mit dem Begriff des „Verdachtes“ ist es mit der Freiheit vieler nicht mehr weit her, wie wir es in den letzten Wochen und Monaten leider erfahren haben.

Was das für die einzelnen Personen und ihre Familien bedeutet, können wir uns hier in Deutschland kaum ausmalen, obwohl bereits die Beschreibungen der Zustände einen täglich erschaudern lassen. Denn es geht ja staatlicherseits gar nicht (mehr) darum, mögliche Bedrohungen ausfindig zu machen und zu unterbinden. Es gilt vielmehr, Angst zu schüren und Widerstand schon im Keim zu ersticken. Jede könnte die Nächste sein, an deren Tür in der Nacht geklopft wird, und die Erfahrungen erleben muss, wie sie Aslı Erdogan in ihren letzten Berichten über ihre Verhaftung und ihren Gefängnisaufenthalt beschrieben hat. Die Angst der Regierung, das Vorgenommene doch nicht zu schaffen, muss sehr groß sein, wenn sie als Folge glaubt, derartig agieren müssen. 




IV.
Ist also gegenwärtig nur Resignation angesagt? 
Ich denke nein. Die Geschichte zeigt, dass Menschen immer dann besondere Stärke beweisen, wenn ihr Grundrecht auf die Freiheit im Denken und Handeln durch Machtmissbrauch vom Staat eingeschränkt zu werden droht. Aber wir alle wissen auch, es braucht großen Mut und breite Unterstützung, solche Wege öffentlich zu bestreiten. Damals wie heute. Gerade wenn der Wind einem ins Gesicht bläst und nicht zu erkennen ist, ob dieser dabei ist, sich zum Sturm oder gar zum Orkan zu entwickeln. Doch seien wir ehrlich. Der Wind um die Grund- und Freiheitsrechte in der Türkei hat sich bereits zum Sturm entwickelt und wir haben Grund zur Sorge, dass dieser wie ein Orkan über das Land hinwegfegt und dabei noch mehr Zerstörung und Vernichtung hinter sich lässt. Diesen Prozess aufzuhalten ist m.E. unser aller Pflicht, jede und jeder an seinem Ort.

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1) 28. Januar 2017
2) Aufruf und Presseberichte:



Neujahr in Istanbul – Die Fortsetzung des Türkischen Alptraums

Nach einer nebligen Abflugverzögerung endlich die nächtliche Ankunft im total verregneten Istanbul. Wenigstens funktioniert die Elektrizität. Die Häuser sind erleuchtet. Leuchtreklamen lassen Konsum- und Kulttempel in hellem Licht erstrahlen. Noch herrscht Ruhe vor dem Neujahrsfeuerwerk. Anders als in Deutschland ist kein vorzeitiger Böller ist zu hören. Doch alles wirkt heute merkwürdig anders. Auf der Strasse neben dem Gezipark ist ein Vorwärtskommen kaum möglich. Gitterabsperrungen. Ein Meer von Polizisten in Uniform, in Zivil. Andere wiederum haben Leuchtwesten mit sichtbarer Aufschrift ‚Polizei‘ auf dem Rücken. Die Seitenstrassen in Richtung Tarlabası sind abgesperrt. Personen werden kontrolliert und können nur einzeln passieren. 

„Was ist los?“ fragen wir einige Polizisten. „Nix. Nur Vorsorge wegen Neujahr“  ist die einhellige Antwort.
Doch alles wirkt irgendwie unheimlich. Es sind einfach zu viele. An manchen Stellen scheinen sie fast noch mehr zu sein, als die auf und ab schlendernde Menschenmenge. Was werden wir wohl erst auf Taksim zu sehen bekommen? Aber dort und auch auf Istiklal ist weit und breit kein Toma zu sehen. Das ist merkwürdig, denn Wasserwerfer gehören bei erhöhter Polizeipräsenz eigentlich immer zum Strassenbild.

Um das französische Konsulat – wie seit dem Anschlag im März 2016 hier  üblich – zum Schutz die Gitterabsperrung. Dennoch macht alles eher den Eindruck „Keine Angst, wir sind hier. Wir passen auf, wir schützen Euch.“ Aber auch jedes weitere Gebäude auf unserem Weg ist bewacht. So habe ich das noch nie gesehen. Es hat den Anschein einer Bewachungskette auf beiden Seiten die gesamte Strasse hinunter.

Und noch etwas ist neu. Die Seitenstrassen sind blockiert, aber nicht wie üblich durch Gitter abgesperrt. Diesmal blockieren jeweils 4 Polizeifahrzeuge, die sich mit der Front gegenüberstehen mit laufendem Motor, umringt von Sicherheitskräften. Es erscheint, als wolle man dort nicht nur eine Strasse blockieren, sondern als stehe man auch auf Abruf, um bei Bedarf in Sekundenschnelle durchstarten zu können. Anders als in früheren Zeiten – zum Beispiel zur Zeit der Gezibewegung – als Zivilpolizisten nicht gleich erkennbar und ihre Arbeitsmittel in Plastiksäcken an den Strassenecken abgestellt waren, um bei Bedarf die Gummiknüppel schnell zur Hand zu haben, ist davon diesmal nichts zu bemerken. Unbekümmert stehen Sicherheitskräfte in Grüppchen herum. Andere wiederum beobachten gezielt. An den Seiten liegen Proviant und Getränke. Sie sind auf eine lange Nacht vorbereitet.

Es herrscht eine mir unbekannte, neue Stimmung, fast fröhlich und unterhaltsam, aber dennoch aufmerksam. Von Sicherheitskräften und Bevölkerung ist keine Distanz bemerkbar, im Gegenteil. Passanten posieren mit vermummten Polizisten und schießen Selfies. Auf die Menschenmenge, die hier in Istiklal zum Ende des Tages stetig anwächst, hat es offensichtlich diesmal niemand von den Sicherheitskräften abgesehen. Auch die aggressive Garde scheint verschwunden. Auffallend sind die vielen jungen Gesichter der Polizisten und Polizistinnen. „Etwas hat sich geändert bei der Polizei,“ erklärt mein Kollege. „Viele wurden nach dem Putsch verhaftet oder entlassen. Neue wurden eingestellt. Sie sind gut ausgebildet, aber sie haben nicht mehr diese Distanz zur Bevölkerung, wie es die alte Garde hatte.“ Auf unserem Weg durch eine Seitenstrasse bemerken wir akribische Personenkontrollen und auch hier eine Omnipräsenz der Sicherheitskräfte. Der Stadtteil scheint von Polizei ‚besetzt‘ zu sein. Freunde bestätigen, auch für sie sei es eine neue Qualität und von ihnen zuvor so noch nicht erlebt. 

Plötzlich platzt diese Nachricht in unsere friedliche Neujahrsrunde im Petra Palace Hotel. „Reina!“ „Guckt mal Reina, schnell!!“ Schon sausen die ersten Polizeiautos mit Blaulicht an den Fenstern vorbei. Kurze Zeit später sind die Strassen verstopft und nichts geht mehr. Der Stadtteil ist abgesperrt. Das ist das Ende von unserem fröhlichen Neujahresanfang.

Was ist passiert? Das Internet funktioniert diesmal. Die Sozialen Medien reagieren blitzschnell. Die übliche Nachrichtensperre ist noch nicht ausgesprochen: Ein erneuter Terroranschlag! Bei einem Angriff auf den Reina Nachtclub gelingt es Angreifern um 1:45 Ortszeit in diesen Club einzudringen und dort ein Massaker anzurichten. Ursprünglich wird von mehreren Angreifern geredet, die sich mittlerweile auf der Flucht befänden. Mittlerweile nur noch von einer Person. 


Was für ein Club ist das Reina, den sich die Terroristen da ausgesucht haben?


Barbara Vorkammer beschreibt den Club als Symbol für Reichtum und Dekadenz, aber auch als eine "Instanz im Istanbul Nachtleben." Der direkt am Wasser unterhalb der drei großen Brücken über den Bosporus gelegene Club, der über mehrere Restaurants, Tanzflächen und eine zentrale Bar verfüge, sei seit seiner Eröffnung 2002 beim türkischen Jetset, Promintenten sowie ausländischen Touristen beliebt. [1]


Für Mehmet Koçarslan, Gründer dieser Kultstätte, symbolisiert Reina die "World under one roof." Für ihn ist der Club eine Metapher und Ausdruck der Multikulturalität in der Türkei, aber auch ein "passport to the European Union." [2] Und Vorkammer mutmasst, dass Reina genau aus diesem Grund als Ziel ausgewählt wurde. Durch diesen Angriff wurden 39 Menschen getötet und 69 weitere zum Teil sehr schwer verletzt. Eine traurige Bilanz für eine Feier zur Begrüssung des Neuen Jahres.

Jetzt erklärt sich uns auch die breite Präsenz der Sicherheitskräfte im Stadtteil. Von 17.000 Polizisten ist da die Rede. Allerdings ist nur von einem Polizisten vor dem Club die Rede, ein 21jähriger, der durch diesen erneuten Wahnsinn in den Tod gerissen wurde.

Es scheint Hinweise gegeben zu haben. Und wenn ja, wie wurde mit diesen umgegangen? Hier gibt es unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Sichtweisen. Sicher ist jedenfalls, dass die Gruppe des IS Warnungen gegenüber der Türkei ausgesprochen hat.



Offensichtlich scheint man in diesem Spektrum nach dem oder den Tätern zu suchen. Doch dann geschieht leider auch sehr schnell das hier mittlerweile Übliche: Es wird eine Nachrichtensperre verhängt. Diese Vorgehensweise verwirrt. Warum gibt es keine öffentliche Warnung, dass der Täter noch unterwegs ist? Es existiert auch keine Skizze des Gesuchten. Dabei hat sich doch immer wieder gezeigt, dass Bürger und Bürgerinnen bei Fahndungen hilfreich sein können. Wieder wird hier offiziell völlig anders reagiert, als dies beispielsweise während des jüngsten Attentats auf einem Weihnachtsmarkt in Deutschland geschah. 

Auch in Reina spielt das Thema Weihnachten offenbar eine Rolle. Einer der Täter soll sich als Weihnachtsmann in den Club geschmuggelt haben. Doch dies wird später offiziell dementiert. Wenn es so wäre, wie die Bilder der Überwachungskamera annehmen lassen, was hat dann ein Weihnachtsmann auf einer Neujahrsfeier zu suchen?  Wieso kommt jemand mit einer solchen Verkleidung unbemerkt in eine Feier zur Begrüssung des Neuen Jahres? Während in anderen Ländern das Neue Jahr mit Luftschlangen und Böllerschüssen begrüsst wird, gehören in der Türkei bei solchen Feiern offensichtlich der Weihnachtsbaum und der Weihnachtsmann dazu. Ob sich aus historischer Unkenntnis oder der Einfachheit halber diese nichts miteinander zu tun habenden nichtmuslimischen Feste im Verlauf der Zeit miteinander verschmolzen haben, ist ein anderes Thema. Aus Sicht in der Türkei jedenfalls gehören sie heute irgendwie zusammen, und somit wird auch verständlich, wenn jemand mit einer solchen roten Mütze am Neujahrstag Einlass begehrt, warum dies weder verwundert, noch ein mordender Terrorist in ihm vermutet wird. 

Es ist etwas anderes, dass verwundert und auch verwundet im jüngsten Vorgehen in der Türkei: der Umgang mit den nichtmuslimischen Festen. Waren da nicht die Predigten am vergangenen Freitag in einigen Moscheen, in denen öffentlich verkündet und kritisiert wurde, den Anfang des Neuen Jahres überhaupt zu feiern? Erinnern wir uns: Der unter 'Ahmet Hoca mit der Robe' bekannte, der Ismailağa Gemeinde angehörige Prediger sagte, Neujahrsfeste seinen "haram", d.h. im Islam verboten, sie seien Feste der schmutzigen Ungläubigen (Gavur), der Kafir und kommentierte: "Würdest du an dem Tag feiern, an dem die Mörder deines Vaters feiern? Nimm nicht teil an der Feier der Mörder deines Vaters, an den Feiern der Feinde deiner Religion. Wenn du die Feier dieser schmutzigen Ungläubigen feierst, verflucht Allah dich und schickt sie dir an den Hals." Oder der Prediger Nureddin Yıldız, in dessen Umfeld sich übrigens auch der Attentäter Mevlüt Mert Altıntaş des russischen Botschafters befand. Er rief die Muslime in einer Ansprache zu Reaktionen gegen die Neujahrsfeiern auf. [3] Und es  waren sogar Plakate in der Öffentlichkeit zu sehen, auf denen der Weihnachtsmann K.O. geschlagen wird:



Ich denke, es ist an der Zeit darüber nachzudenken, ob eine solche Stimmungsmache gegen nichtmuslimische Traditionen in der Türkei – ebenso wie in jeder multikulturell zusammengesetzten Gesellschaft – zur Gefahr wird, Angehörigen radikaler Sichtweisen den Weg weiter zu ebnen. Wenn diese Kräfte so ausser Kontrolle geraten können, dass sie mit Totschlag und Mord sympathisieren, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen, dann werden sie auch vor weiteren Terrorakten nicht zurückschrecken.
Irgendwo habe ich heute sinngemäß gelesen: „Früher haben wir am Neujahrstag die Neugeborenen benannt und uns über ihre Ankunft gefreut. Heute scheint es so, als ob wir beginnen, an diesem Tag die Toten zu beklagen.“ Der erste Tag im Neuen Jahr, ein trauriger Tag für viele. Verflogen ist die fröhliche Stimmung, die wir gestern auf Istiklal ALLE noch gemeinsam gespürt haben. Aber sie könnte auch ein Hoffnungsschimmer sein, dass nicht alles so bleiben muss, wie es jetzt ist.
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Ahmed Bey von Eminönü

Es ist schon Jahre her, damals in Istanbul. Es war dort wieder mal Winter. Wir stapften vom Galaterturm durch die engen Kopfsteinpflaster-gassen, über die Brücke, hinüber in Richtung Eminönü. Der Wind blies eiskalt ins Gesicht. Ich bedeckte den Kopf mit dem Tuch, um dieser Kälte zu entgehen. Da passierte es. Ich stolperte. Der Absatz bricht ab.
Was tun? In ein Schuhgeschäft? Aber wo? "Wieso denn das? Wir sind doch gleich in Eminönü", erklären mir meine Begleiter. "Dort sind die Ayakkabı boyacısı, die Schuhputzer, die reparieren auch". Ja, da sitzen sie, damals wie heute, nebeneinander aufgereiht, mit ihren blitzblanken Messingkisten, die Schuhputzer und warten auf Kundschaft.

Bei Ahmed bleibe ich stehen. Er lächelt, lässt einen Stuhl holen und schickt den Jungen nach Tee. "Ver onu!" - gib her - befiehlt er mir und macht sich an die Arbeit. Sorgfältig entfernt er den Schmutz am Stiefel, feilt ein bißchen an den Kanten, sucht nach einem passenden Lederstück, schneidet es zurecht, nagelt es vorsichtig, hält den Kopf schief, guckt kritisch und zieht einen Nagel wieder heraus. "İyi değil" - nicht gut - erklärt er und nagelt erneut. Er schneidet die Ecken, passt alles an und betrachtet dann sein Werk. Er ist zufrieden. Ich bin es auch und will die Stiefel nun anziehen, denn es ist kalt. Doch falsch gedacht. Er wickelt meine Füsse in eine Decke und beginnt nun noch sein Putzritual.


Und irgendwann sind sie dann wieder wie neu, meine Stiefel. Er strahlt.  Das Ritual des Zahlens beginnt. Wie immer. Er benennt einen Preis. Mir ist das zu wenig. Er will es nicht annehmen. Er ziert sich ein bißchen. Doch dann steckt die Lira erfreut in seine Hosentasche. Mein Weg zurück hoch zum Galaterturm beginnt. Die Füsse werden wieder warm. Ich bin zufrieden. Doch irgendetwas ist schief. Im Hotel angekommen merke ich es - eine der Einlagen für das bequeme Laufen ist weg. Das ist sehr ärgerlich, denn ich laufe viel. Ich entferne die andere und bin böse mit mir, weil ich mal wieder nicht genug aufpasse. Und am nächsten Tag ist es dann auch etwas unbequem, denn ich laufe viel in Istanbul. Wir haben einen Termin ganz in der Nähe und ich will doch noch einmal bei Ahmed vorbeischauen. Es ist nicht zu glauben! Er erkennt mich zuerst, hält die Hand hoch, hat die Sohle in der Hand und ruft laut "Abla!". Wir passen sie an und ich laufe den Rest des Tages wieder schief, dafür aber glücklich. So ist Ahmed, einer der Schuhputzer von Eminönü, den ich nicht vergessen werde.

10 Jahre später bin ich wieder auf der Brücke auf dem Weg nach Eminönü. Diesmal ist es April und der Wind bläst wieder. Das erinnert mich an Ahmet. Ob ich ihn wieder finden werde? Aus der Entfernung mustere ich die Gruppe der Schuhputzer. Nein. Er ist nicht da. Das wäre auch ein zu großes Glück gewesen, ihn 10 Jahre später wieder an derselben Stelle zu entdecken. Ich sehe mir einen Stand nach dem anderen an. Er wird es aufgegeben haben, das Schuhputzen. Ich kann das verstehen. Jeden Tag, bei jedem Wind und Wetter, zwar ein bißchen geschützt, aber dennoch der Witterung ausgesetzt. Da ist dann vielleicht doch irgendwann Schluss mit diesem Beruf. Andere haben seinen Platz eingenommen, warten auf Kundschaft. Alles ist wie immer. Nur eines hat sich verändert. Das Transistorradio ist dem Smartphone gewichen. Sie telefonieren, spielen oder hören einfach nur Musik - und warten auf Kundschaft.

Doch HALT! Ist er das etwa doch? Ja das ist er! Ich gehe auf ihn zu. "Schuhputzen?" fragt er mich höflich? "Nee, jetzt noch nicht," antworte ich und krame in meinem Rucksack. Ich hocke mich vor ihn hin und hole meinen redMac raus. Ich heb doch alles auf, denke ich, da muss ich sie doch noch haben, diese Bilder von damals. Ahmed betrachtet mich amüsiert. "Was machst du da, abla", fragt er verwundert. "Gleich hab ichs, warte", antworte ich und lege den Mac in seine Hände. "Guck." Er guckt und guckt, sagt nix und guckt und guckt. Eine ganze Zeit lang. "Das bin ich," ruft er plötzlich aufgeregt. Er steht auf, nimmt den Rechner und rennt rum. "Das bin ich, guck!" erklärt er der Losverkäuferin, die ein paar Meter weiter steht. Und dann geht er weiter. "Das bin ich!" Jeder Kollege muss sich das anschauen. "Ja das bin ich" murmelt er immer wieder und guckt mich dabei strahlend an.

Irgendwann klappt er den Rechner zu, gibt ihn zurück, ruft seinem Kollegen etwas zu, nimmt meine Hand und schiebt mich in ein Café.
"Das feiern wir. Möchtest Du Tee?" Und er sitzt mir gegenüber und strahlt und erzählt und erzählt. Und wieder mal versteh ich kaum etwas, alles geht so schnell. "Ich komm zurück", verspreche ich beim Abschied, "dann bringe ich Dir das Bild. Und ich bringe Selçuk mit. Er versteht Deine Sprache besser als ich. Dann können wir reden." "Das musst Du mir versprechen" gibt er mir mit auf den Weg. "Ich werde warten. Du weisst ja, wo ich bin." 
Ja, in Eminönü. Auch ihr könnt ihn dort finden.



Irgendwie ist das Leben manchmal doch schön! ...
 ... Irgendwie ist das Leben manchmal doch schön!


Danke Ahmed bey!




Lasertag – (K)ein Spiel für Kids?

"Wir feiern morgen bei Lasertag!" ruft Mike fröhlich. "Ihr feiert wo??" frage ich erstaunt. 12 Jahre wird er alt. Da werden Geburtstage nicht mehr mit Topfschlagen und Luftballonzerpieksen in der eigenen Wohnung gefeiert. Es geht raus. Bei Kindergeburtstagen tobt man im Schwimmbad, geht ins Dinosaurier- oder ins Postmuseum, auf eine Bowlingbahn oder auch mal zu McDonalds.
Aber zu Lasertag? Ich kenne einige dieser Arenen. Es sind dunkle Räume mit futuristisch gestalteten Neonlandschaften mit verwirrenden Nebelwolken, in denen Teams zu laut tönender Musik gegeneinander spielen. Sie versuchen, die Personen des anderen Teams mit Phasern zu markieren, um als der Punkte-Sieger aus dem Spiel hervorzugehen. Hierzu muss man schnell und wendig sein, sich aber auch immer wieder mit der eigenen Gruppe eine Strategie ausdenken, um das andere Team zu schlagen. Das ist doch eher etwas für Ältere, denke ich und frage verdutzt: "Ist euch da wirklich GARNIX anderes eingefallen?" "Wir gehn alle! Papa, Mama und Mona geht auch mit," bekomme ich zur Antwort. Mona? Mona ist ungefähr 8 Jahre alt!

Kids spielen Lasertag? Das will ich mir ansehen. Ich verabrede mich mit einer Studiengruppe bei LaserZone in Frankfurt. Es ist Wochenende. Da ist die Arena für Kindergeburtstage reserviert. Die Studiengruppe hat zwei verschiedene Beobachtungsfolien, die wir der Wikipedia Beschreibung zu Lasertag entnommen haben:
"Lasertag ist ein Räuber und Gendarm Spiel."
"Lasertag ist ein Kriegsspiel." 
Die Gruppen beobachten die Kinder, ordnen ihre Beobachtung den jeweiligen Beschreibungen zu und begründen ihre Wahl. So ist unser Plan.

Doch wir müssen umdenken, denn bereits der Eingang zur Arena unterscheidet sich von den bisher besuchten Arenen. Es ist kein dunkler, durch bunte Neonbeleuchtung futuristisch anmutender Raum, der in eine geheimnisvolle Welt führt. Uns erwartet eine helle, bunte große Eingangshalle mit verschiedenen elektronischen Spielgeräten, einer Theke und daneben der Eingang zur eigentlichen Arena. Tische und Bänke sind aufgestellt. Überall sausen grössere aber auch 'etwas kleinere' Kinder durch die Halle. Sie spielen an den Geräten, sitzen auf Barhockern, albern rum oder stehen an den Anzeigetafeln und vergleichen ihre Ergebnisse, Papa an der Hand. Die Mütter sind beschäftigt. Sie richten die Geburtstagstafeln. Kuchen und Gebäck werden hereingebracht, aus großen Körben Geschirr, Besteck und Servietten hervorgeholt. Es sieht weder nach den Vorbereitungen zu einem Räuber und Gendarmspiel aus, noch nach denen zu einem Kriegsspiel. Es sind fröhliche Runden, die gemeinsam Spaß haben, die Kinder, aber auch die Erwachsenen. Geburtstagsfeiern eben. 
Wir befragen die Eltern warum sie den Geburtstag bei LaserZone feiern. "Naja, alle seine Freunde feiern hier. Ich konnte ihm das nicht abschlagen," erklärt eine der Mütter, während sie weiter den Tisch deckt. "Es ist völlig anders, als ich mir das vorgestellt habe," fährt sie fort, "ich denke, es war eine gute Entscheidung hierher zukommen. Jeder findet hier etwas, auch die Kleinen, die können wir ja nicht einfach zu Hause lassen. Und es ist einfacher, alle zu beaufsichtigen. Als wir im Schwimmbad waren, da war das für mich viel chaotischer." "Dürfen die Kleinen denn mit in die Spielarena?" "Nein, das nicht", wird uns erklärt, "aber es gibt genügend Möglichkeiten im Vorraum für sie. Es sind so viele Kinder hier. Sie finden schnell jemanden, mit dem sie etwas zusammen machen können. Sie fühlen sich wohl und sind mit dabei." 




Wir betreten den Vorraum zur Arena, in dem die Westen und Phaser aufgereiht nebeneinander hängen. Erwartungsvoll steht bzw. zappelt eine Gruppe herum, um endlich hineingelassen zu werden. Die Erwachsenen helfen in die Westen und erklären noch einmal den Phaser. Überall blinkt es in zwei verschiedene Farben, damit die Gruppen sich auseinanderhalten können und nicht aus Versehen die falschen markieren.
"Auf gehts," erklärt ein Vater. Die Tür öffnet sich. Die Kids sausen los. Nach 12 Minuten kommen sie wieder, diesmal nicht so stürmisch, eher etwas erschöpft, mit roten Backen und verschwitzten Haaren. "Geil war das," bekommen wir zu hören, und zu den Erwachsenen "Können wir nochmal?" So richtig interessiert die Punktezahl erst einmal noch gar nicht. Die Getränke sind wichtiger und das Reden miteinander. Der Lautstärken-Pegel im Raum schwillt an, wenn eine Gruppe aus der Arena kommt. Einige rennen rum, gucken, was die anderen machen, andere ruhen sich aus. Und es gibt ein Gruppenfoto. Aber dann geht es doch zur Anschlagtafel mit den Ergebnissen.
"Wie war es da drin", fragen wir einen Vater. "Naja, es ging," kommt die Antwort etwas gedehnt. "Es hat also nicht gefallen?" wollen wir wissen. "Den Kids schon, die sind herumgesaust, nur für mich war das etwas langweilig. Die haben ja überhaupt nicht strategisch überlegt, wie sie die anderen fangen können. Die sind alle etwas ziellos um die Hindernisse herum und haben geschrien und gelacht. Nix von mal überlegen, was man zusammen tun könnte, um die andere Mannschaft zu finden und zu treffen. Nix, nur Rumgerenne." Er lacht. "Aber für die Kids ist das schon irgendwie toll. Die sind alle begeistert."

"Was macht ihr da drin?" fragen wir einige der Kinder? Die meisten von ihnen sind zwischen 10 und 12 Jahre alt. "Du gehst da rein und dann sind da so Gänge und du musst die suchen." "Ja, aber du musst dich auch verstecken, sonst finden sie dich" "Wen müsst ihr suchen?" fragen wir. Jetzt wird es lebhafter und die Gruppe versucht uns Erwachsenen zu erklären, wie ein "Spiel" in der Arena verläuft. Jeder erzählt etwas. Alle reden gleichzeitig. Irgendwie scheint der Eindruck des Vaters zu stimmen: Sie haben sich versteckt, sind suchend rumgelaufen, haben geschrien und gelacht und hatten Spaß.
Offensichtlich haben wir uns bei der Beobachtung der Kleinen auf falsche Beobachtungsfolien verständigt. Die Beschreibungen der Kinder ähneln weniger eine Räuber und Gendarm Spiel noch einem Kriegs-Spiel. Sie spielen einfach Fangen und haben Spaß dabei.

Ganz anders als bei den Älteren, den 12-,13-,14-Jährigen. Ihnen geht es eher um die Punkte-Jagd, um das Gewinnen der Mannschaft. Nach dem Kennenlernen der Spielmodi beginnen sie sich abzusprechen, wie man sich wo am besten zusammentut oder sich zuruft, um die andere Gruppe ausfindig zu machen.
Wir schlüpfen mit einer älteren Gruppe in die Arena und versuchen, das Ganze zu beobachten. Kommt es wirklich zu Absprachen, zu eigenen Regeln, wie man vorgeht? Es ist beides, ein Rumrennen und strategische Absprache. Hier merkt man nun, dass es um den Punktegewinn geht, um den Sieg der Mannschaft. Dreiergüppchen stehen um in die Wand eingelassene neutrale Punktestationen  – sogenannte Targets. Hier ist die Punktezahl höher und man versucht daher, gleichzeitig mit drei Personen über dieses Ziel zu punkten. Ob die Kleineren diese Möglichkeiten auch schon kannten und genutzt haben, hatten wir nicht nachgefragt.

Wir schauen uns weiter um. An einer Pinnwand posieren Erwachsene nach ihrem Spiel. "Das geht aber gar nicht", sagen die Studierenden. "Was halten Sie von diesem Bild" fragen wir eine Mutter. "Naja, nicht gerade super, ich hatte die hier gar nicht gesehen. Sie sind in der Ecke hinten und fallen nicht sofort ins Auge. Ich denke, es ist schwer für Betreiber, eine Arena so zu gestalten, dass es für alle Altersstufen passt. Für uns ist es gut so, wie es ist. Das eine Bild, ich denke, es ist nicht wichtig." "Und das Spiel, was ist es für Sie? Was spielen die Kinder in der Arena?" "Das ist nicht meine Welt" bekommen wir zur Antwort. "Mein Mann geht mit der Gruppe spielen. Fragen Sie ihn." Der Eindruck entsteht, Mütter sind für den Ablauf im Vorraum und die Geburtstagstafel zuständig und die Väter interessieren sich für das Spiel und den Ablauf des Spiels.

Die Studierendengruppe beendet ihre Beobachtungen und reflektiert ihre Erfahrungen. Unsere Frage, ob Lasertag eher als Räuber-und-Gendarm Spiel oder als Kriegsspiel von den Anwesenden wahrgenommen wird, war offensichtlich ein falscher Ansatz. Ganz andere Fragen haben sich ergeben. "Sicherlich ist das hier eine tolle Sache für die Kids" sagen die Einen, "Einiges müsste sich hier aber ändern", sagen die anderen.  Zu einer Bewertung reichen die Erfahrungen noch nicht. Eine Studierendengruppe beschliesst, bei den Eltern genauer nachzuforschen, nach Müttern und Vätern zu differenzieren und hierzu eine Befragung durchzuführen. [1] Eine andere Gruppe wertet die Gruppenfotos nach den verschiedenen Altersstufen inhaltsanalytisch aus. [2] Eine dritte Gruppe differenziert aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie die Entwicklungsphasen im Alter zwischen 10 und 14, da hier entscheidende Entwicklungsschritte zu verzeichnen sind. Und dann? Naja, dann gehen sie spielen, die Studierenden. Sie möchten schliesslich nicht nur beobachten, sondern noch genauer wissen, worüber sie nachforschen sollen, sagen sie mir.
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1) Die Auswertung erscheint in Kürze.
2) Die Inhaltsanalyse erscheint in Kürze.