Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" – Teil 4


Wie ich Deiner Erzählung entnehme, hat Dein Sohn dann doch einen anderen Weg eingeschlagen, als es eine Zeitlang erschien. Er hat wieder Distanz zu den Salafisten bekommen. Wie bist Du damit umgegangen?

Naja, ich habe ihm erst einmal überhaupt nicht getraut. Keinen Meter (lacht). Es bestanden damals ja auch noch viele Kontakte zu den Salafisten. Und dann kamen ja auch immer wieder Freunde aus Syrien zurück. Diese Kontakte fand ich weiterhin sehr schwierig für mich.


Er hat also Freunde, die in Syrien gewesen und zurückgekommen sind. Hatten die denn immer noch die gleiche Einstellung wie zur Zeit ihrer Ausreise?

Ja, ich denke die meisten schon, egal, was sie dort in Syrien alles erlebt haben. Es sind nur wenige dabei, die ihre Einstellung grundlegend geändert haben. Bei meinem Sohn hat diese radikale ideologische Einstellung abgenommen, bei den anderen denke ich jedoch nicht.

Und als diese dann bemerkt haben, dass mein Sohn nicht mehr so richtig mitmacht, dann haben sie sich auch immer mehr von ihm zurückgezogen.

Ich nehme an, sie haben ihn dann etwas belächelt und als einen Weichling gesehen. Das mag kein Mann gerne hören, so dass er sich selbst dann auch von ihnen abgekapselt hat. Und hat sich wieder mehr auf seine Arbeit konzentriert und mehr mit seinen Arbeitskollegen unternommen. Es war also ein beiderseitiger Entfremdungsprozess, der da stattgefunden hat. Und es ist noch etwas passiert, von dem ich annehme, dass es ihn letztendlich gerettet hat. Er hat sich verliebt.

Das ist manchmal doch auch eine Chance. Frauen können Einfluss auf die Lebenswege von Männern haben, auch wenn das von diesen nicht so gerne zugegeben wird.

Das ging damals relativ schnell. Wir haben das Mädchen kennengelernt und auch bald in der Familie um ihre Hand angehalten und die Verlobung gefeiert.

Hat er sich in der Zeit davor denn etwas verändert? Du hast zum Beispiel davon gesprochen, dass er so sehr auf sein salafistisches Aussehen geachtet hat.

Etwas hatte sich da schon verändert. Aber seinen Bart, den hat er sich nicht abgenommen. Ich glaube, dazu war er zu stolz, das hätte nach aussen zu sehr als ein Rückzieher ausgesehen. Und seine Einstellung ist auch weiterhin sehr religiös.

Wie kommt die andere Familie mit seiner Einstellung klar?

Diese Familie ist selbst sehr religiös eingestellt, allerdings überhaupt nicht radikal. Sie haben ihn so akzepetiert. Allerdings hat das Mädchen ihm doch einige kritische Fragen gestellt und ihm zu verstehen gegeben, dass sie nicht vorhabe, mit einem Radikalen ihre Zeit zu verschwenden.

Sie hat ihm ganz offen gesagt, dass er mit seinen radikalen Ideen bei ihr keine Chance hätte?

 Genau so. Eine solche Haltung akzeptiere sie nicht.

Hattest Du nicht erst einmal die Idee, er könnte ähnlich handeln, wie zuvor? Erst einmal still zu halten, um dann nach der Hochzeit auf seiner Haltung zu bestehen?

Nein, ich denke, er hat schon bemerkt, dass er bei dem Mädchen sonst keine Chance gehabt hätte. Es ist interessant, im Grunde hat er sich einen Typ Frau ausgesucht, die ebenso stark ist wie seine Mutter. Ich dachte immer das Gegenteil, dass er sich eher einen schwachen Typ aussuchen würde, ein Mädchen, das er lenken und auf seine Ideen einschwören könne. Aber genau das Gegenteil ist passiert.

Ich glaube aber, dass sich sein Denken selbst verändert hat. Vielleicht war es ihm auch ganz willkommen, so tun zu können, als gäbe er sein Verhalten wegen mir auf. Ich hatte aber schon das Gefühl, er suchte nach einem Weg, wie er sich von dem Ganzen lösen könne. Da war ihm mein Verhalten ganz willkommen.

Du meinst er habe sein Gesicht vor den Salafisten dadurch nicht verloren, weil diese es selbst so wollten, damit Du aufgibst, gegen sie vorzugehen?

Ich denke, dass es so gewesen ist.

Meinst Du, dass er durch dieses Vorgehen zu einer wirkliche Lösung für seinen inneren Zwiespalt gekommen ist?

Nein, es war sicherlich erst einmal keine Lösung seines Zwiespaltes. Aber es war eine Entscheidung, die sich aufgrund verschiedener Umstände und Ereignisse dann so zu einer Lösung entwickelt hat. Dadurch dass er versucht hat, mich in Schach zu halten, kamen wir uns wieder näher. Er musste mich besuchen und musste mir gut zureden. Und dann hat er seine kleine Schwester ja auch wieder öfter gesehen. Das hatte ich ihm ja erst einmal verboten, nachdem mein Mann ihn rausgeworfen hatte. Ich denke, das alles hat ihn dann doch wohl überzeugt, dass die Liebe zu seiner Familie ihm wichtiger war, als seine Liebe zu den Salafisten und dem Kampf in und um Syrien.

Lass uns einem Moment bei dem Thema Liebe bleiben. Ich habe das Gefühl, wenn wir Frauen wirklich lieben, dann gibt es für uns keine Grenzen. Ich denke, wäre Dein Sohn gegangen, würdest sogar Dein eigenes Leben aufs Spiel setzen, um zu versuchen, ihn aus dieser Kriegssituation wieder herauszuholen.

Ja, das würde ich. Und dieses Liebesgefühl, das ist für mich ganz wichtig. Und ich glaube dieses Gefühl hält auch eine Familie erst zusammen. Ich habe meine Liebe niemals verheimlicht. Ich habe sie immer gezeigt, auch körperlich mit viel Zärtlichkeit und Emotionalität. Ich habe auch viel geweint, wenn mir danach war. Und ich habe auch immer versucht, alles einzuhalten, was ich versprochen habe. Ich war immer für die Familie da.

Ist das denn ein ganz spezifisch weibliches Gefühl, diese altruistische Liebe für die Anderen, das Dir die Kraft gegeben hat, so um Deinen Sohn zu kämpfen?

Ich denke schon. Ich denke die Liebe, die mein Mann gibt, ist eine andere und nicht so ausschliesslich und sichtbar. Und auch bei meinem Sohn ist Liebe etwas anderes, als nicht so ausschliesslich und auch sehr unterschiedlich zum Vater, zu den Geschwistern ... Aber die Mutter, ich glaube die Mutter die hat oberste Priorität. Das habe ich bemerkt, als mein Vater plötzlich gestorben ist. Da hatte ich überhaupt keine Kraft mehr. Und sofort hat sich mein Sohn ganz intensiv um mich gekümmert. Er hat mich nicht allein gelassen. Er hat bemerkt, ich brauche ihn. Vielleicht hat das auch mit dazu beigetragen, dass er seinen Platz wieder in der Familie gefunden hat. Wer weiss.

Ihr habt Euch also Schritt für Schritt wieder aneinander angenähert? Ist er dann auch wieder zu Euch in die Wohnung gezogen?

Nein. Wir haben eine Wohnung für ihn gesucht, in der Nähe. Ich habe ihm ganz klar gesagt, es gibt keinen Platz mehr bei uns. Du machst jetzt deinen Weg, du bist jetzt erwachsen. Und das wollte er dann auch.

Hattest Du da nicht Sorge, dass er wieder den anderen Weg einschlagen könnte?

Ich denke, eine Zeitlang war das noch so. Die Erfahrung und der Schrecken saßen doch sehr tief. Beenden konnte ich das Kapitel für mich durch zwei Ereignisse. Das erste war, als mein Sohn mir den Schlüssel zu seiner Wohnung übergab, um einen Reserveschlüssel zu haben. Das zweite Ereignis ist noch gar nicht so lange her. Eines Tages teilte mir die Polizei nämlich mit, dass das Thema für sie erledigt sei und sie meinen Sohn nicht mehr beobachten würde. Erst dann war ich glaube ich wirklich frei. Ich merke aber doch, dass durch diese Erzählung hier vieles wieder hoch kommt und ich noch einige Zeit brauchen werde, bis ich das alles wirklich verarbeitet habe.

Wenn ich jetzt auf Deine Erzählung blicke, so war es in diesem Konflikt nicht der Vater in der Familie, der nach außen agiert hat und sich in die Öffentlichkeit begeben hat und der offen um seinen Sohn gekämpft hat, sondern das bist Du gewesen. Diese Stärke wird Frauen ja oft abgesprochen und ein solches Verhalten wird ihnen untersagt. Bist anders, als die Frauen in Deiner Umgebung?

Ich denke nicht, ich denke, vielleicht scheint das nur so. Bei uns heisst es "Das Paradies liegt unter den Füssen der Mutter." Also musst du sie ehren, denn eine Mutter verflucht auch, und das wünscht sich kein Sohn. Und das gibt den Müttern auch Macht. Und die habe ich eben benutzt, diese Macht. Für mich, für meinen Sohn und für die Familie.

Du hast erzählt, Du warst nicht die einzige in der Region, die solche Sorgen mit ihrem Sohn hatte. Gab es da einen Zusammenschluss und einen Zusammenhalt unter Euch Frauen?

Eigentlich nicht. Wir sind doch sehr verschieden. Jede Mutter hat ihre eigene Strategie. Es gibt sogar Mütter, die sind stolz auf das Verhalten ihrer Kinder und unterstützen das noch. Es gibt Mütter, über die ich nur den Kopf schütteln kann, wenn sie mir erzählen, dass es richtig ist, wenn ihr Sohn für den Jihad stirbt. Es gibt Mütter die schwach sind, und die nichts bei ihren Kindern erreichen. Die würden aber auch nicht so wie ich auf die Strasse gehen, das wäre ihnen peinlich. Sie fühlen sich eher ihrer Familie und ihrer Sippschaft verpflichtet, hinter der sie sich dann verstecken, damit die Familie durch sie ja nicht negativ auffällt. Oder ich bin als Verräterin beschimpft worden, weil ich mich der Polizei anvertraut habe. Mittlerweile ist es nur noch eine Mutter, mit der ich mich noch heute regelmässig treffe und mich austausche. Die hat einen noch sehr jungen Sohn, der wieder aus Syrien zurückgekommen ist. Die ist aber auch so radikal, beim nächsten Mal würde die ihm wohl sofort hinterher reisen. Und ich glaube, das verschafft uns bei unseren Söhnen auch Respekt, dass wir so um sie kämpfen. Und sie haben irgendwo auch Angst vor uns, dass wir es öffentlich wahrmachen, was wir ihnen androhen. Und was ist heute? Heute haben unsere Jungs selbst Angst um ihre jüngeren Geschwister und passen jetzt sogar genau auf, dass denen nicht das Gleiche passiert!

Das Wichtige ist für mich nun, was gibst Du aufgrund Deiner eigenen Erfahrungen nun anderen Müttern mit auf den Weg, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

(wird fortgesetzt)
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Auch Väter kämpfen: 37 Grad - Verlorene Söhne, eine Dokumentation des ZDF