Ich treffe Zehra in einem Vorort von Hamburg. Sie will mir von sich berichten, erzählen "wie ich ihn da rausgeholt habe, meinen Sohn, raus aus diesem radikalen islamistischen Sumpf." Wir sitzen in einem kleinen Café.
Ich beginne mit meinen Fragen. "Warum wolltest Du eigentlich mit mir sprechen?" "Ich will" so erhalte ich zur Antwort "ich will betroffenen Familien sagen, dass noch nicht alles verloren ist, wenn ein Sohn sich plötzlich den Bart wachsen lässt und zu Hause erzählt, man praktiziere nicht den richtigen Glauben und man sei auch nicht besser als all diese Kuffar." [1]
Zehra hat gekämpft um ihren Sohn, der auf dem Weg war, in den Jihad zu ziehen. Es war ein nervenzerreibender jahrelanger Kampf. Aber sie hat ihn durchgestanden. Meistens allein, im Hintergrund aber immer gestützt von ihrer Familie.
Wie und ab wann hast Du überhaupt bemerkt, dass Dein Sohn sich ernsthaft mit dem Jihad auseinandergesetzt hat?
Bemerkt hab ich erstmal gar nix. Da gab es vielleicht ein
paar äußerliche Anzeichen, die ich in Richtung einer religiösen Einstellung
deuten konnte, aber das waren nur äußerliche Anzeichen. Und diese Zeichen
seiner Veränderung hab ich mehr mit der Depression in Zusammenhang gebracht, in
der sich mein Sohn damals befunden hat.
Vor
ungefähr drei Jahren hat diese äusserliche Veränderung begonnen. Er fing an den
Koran zu lesen bzw. zu hören. Und er erklärte immer, das sei wichtig und wie
eine Medizin für ihn. Gut, dachte ich, es ist gegen seinen Liebeskummer und gegen
die Depression, denn er war gerade von einem Mädchen verlassen worden. Und
eigentlich war ich auch froh – das sagen übrigens auch viele Mütter – und
dachte, wenn es ihm gut tut, dann lassen wir ihn halt. Und das ist genau das Fatale
beim Beginn einer solchen radikalen Entwicklung, denn ihnen wird beigebracht, haltet
euren Vater und eure Mutter still. Und das hat er dann auch gemacht. Er wurde
immer stiller, hat nicht mehr widersprochen, war brav, hat mich nicht mehr
verletzt. Und so hat er auch mich still gehalten, denn er gab mir keinen Grund,
ungehalten zu sein. Aber der Bart, der ist dann langsam immer länger geworden. Das
ist mir dann doch aufgefallen.
Und wie hat sich das Ganze dann weiter
entwickelt?
Also
erst hat er ja nur den Koran zu Hause gelesen. Aber dann hat er auch die
Moschee gewechselt und ist von unserer DITIB-Moscheen [2] weg und hin zu einer anderen gegangen, zu einer dieser Salafisten-Moscheen.
Wie hast Du das bemerkt?
Die
Leute haben uns das zugetragen. So wie das bei uns halt ist. Mein Mann geht ja
in die Moschee. Man kennt sich und man spricht miteinander. Und so haben die
Männer dann meinen Mann angesprochen und ihn gefragt, wieso geht denn dein Sohn
jetzt in diese fundamentalistische Moschee? Aber mein Mann ist da immer noch
nicht wach geworden. Er hat meinen Sohn mal darauf angesprochen. Doch dieser hat ihn beruhigt und gemeint, unter den Türken würde so viel getratscht, das passe ihm
nicht, er wolle einfach nur aus dem Koran hören, darum habe er gewechselt. Ja,
und darauf sind wir reingefallen.
Hat Dein Sohn damals
noch zu Hause gewohnt?
Ja,
das hat er. Und da er die türkische Sprache nicht so gut kannte, dachten wir,
lassen wir ihn ruhig in diese Moschee gehen, wenn es ihm dabei doch so gut geht.
Obwohl, wenn ich mich rückerinnere, ich habe schon damals immer ein Auge darauf
gehabt. Aber als er so freundlich und versöhnlich wurde, und die körperlichen
Symptome seiner Depression auch abgenommen haben, da habe ich mich wieder
beruhigt. Und auch das war eben das Fatale.
D.h. Du hattest schon
ein ungutes Gefühl, als er die Moschee gewechselt hat?
Ja, das war mir schon verdächtig. Denn diese Moschee ist
berühmt dafür, dass sie sehr radikal ist und dass dort angeblich auch
rekrutiert wird. Es gab etliche Medienberichte über diese Moschee, daran erinnerte
ich mich dann auch und da habe ich schon manchmal gedacht, oh oh, da stimmt was
nicht.
Wieso hast Du Dich
überhaupt mit dem Thema einer eventuellen Radikalisierung beschäftigt? Wieso
hast Du Dir gerade diese Medienberichte gemerkt? Es geht doch so Vieles an
einem vorbei und man erinnert es nicht. Offensichtlich aber dieses Thema nicht,
oder?
Ja, ich denke, weil man in seiner Umgebung doch immer wieder
davon gehört hat, aber man denkt dann ja meist, es betrifft immer nur die Anderen.
Ich hatte zwar im Hinterkopf, dass es da eine Moschee gibt, in der Kinder für
Syrien rekrutiert werden. Ich wusste das aber nur vom Hörensagen und dachte,
mich würde das nie betreffen. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Und dann
bin ich ihm aber doch mal gefolgt. Ja und dann habe ich es gesehen, wie er da
rein ging und wie der mit diesen Radikalen dann wieder raus kam aus dieser
Freitags-Moschee. Ja, und von da an habe ich angefangen zu recherchieren und habe
ihm dann auch Fragen gestellt. Er hat mir damals sehr patzige Antworten gegeben
und hat alles geleugnet. Aber er hat mich auch mit Vorwürfen konfrontiert, ich
würde mich nicht auskennen, keine richtige Muslima sein ... . Und so habe ich bröckchenweise
bemerkt, wie er uns eigentlich moralisch verurteilt. Wir seien keine
richtigen Moslems, wir hätten ihn nie in die Moschee gebracht, hätten ihm keine
richtige islamische Erziehung gegeben und und und. Wir hätten ihn niemals daran
gehindert, Diskotheken zu besuchen und hätten auch nichts gegen sein "high
life" gesagt. Es kamen Vorwürfe über Vorwürfe, aber an seiner Wortwahl und
dem, was er da so alles gesagt hat, hat man schon gemerkt, dass das nicht sein
Eigenes war, sondern dass man ihm da auch vieles in den Mund gelegt hat.
Als Du diese Vorwürfe
zu hören bekamst, was hat das mit Dir gemacht, wie hast Du Dich dabei gefühlt
und vor allem, wie bist Du damit umgegangen?
Ich war wütend. Richtig wütend!
Wütend auf wen oder
auf was?
Wütend auf diese Moschee und darauf, dass mein Sohn so naiv
sein kann, auf solches Gerede reinzufallen und dass er seine
Eltern so verurteilen kann.
Diese Vorwurfshaltung
ist ja normalerweise in den Familien mit türkischem Hintergrund, die ich kenne,
so nicht üblich. Eltern gegenüber hat man höflich zu sein, zumindest nach außen
hin, egal was man innerlich denkt.
Das war auch die ganze Zeit so, bis ich eben seine
Ambitionen aufgedeckt habe. Das war für ihn das Unangenehme, und es war seine
Art, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Heute weiss ich, wie wichtig es für die
Rekrutierungen ist, dass die jungen Leute ihre Eltern still halten. Eltern, die
aufmucken und sich gegen die Veränderungen ihrer Kinder wehren oder sogar etwas
dagegen in die Wege leiten, das schafft unangenehme Aufmerksamkeit, die nicht erwünscht
ist. Die jungen Leute werden daher angehalten, ihre Eltern ruhig zu halten,
damit mit möglichst wenig Aufmerksamkeit für den Jihad weiter rekrutiert werden
kann. Hat jemand also laute Eltern, schafft das Probleme in der salafistischen
Gemeinschaft. Daher hat er dann ja auch mit allen Mitteln versucht, uns irgendwie
in Schach zu halten.
Wie ist das denn mit
Dir gewesen, als Du irgendwann angefangen hast, die Situation zu begreifen? Hast
Du auch mal nachgedacht, wie das passieren konnte, und ob Du da irgendwas falsch
gemacht hast? Müttern sagt man ja immer wieder nach, dass sie die Fehler oft
erst einmal bei sich suchen.
Nein, noch nie! Ich mach mir keine Vorwürfe! Und ich lasse
mir das auch von niemandem einreden. Wir haben unseren Kindern immer andere
Werte mitgegeben, es ist egal ob jemand Christ oder Moslem ist. Es sind allgemeingültige
menschliche Werte, die wir ihnen vermittelt haben. Also, dass er nicht klauen
soll, dass er niemanden umbringen soll, dass er nicht lügen soll, dass er
Menschen nicht verachten darf, sondern im Gegenteil, dass alles mit Liebe gemacht
sein soll. Nein, da muss ich mir keine Vorwürfe machen!
Es waren übrigens auch nicht nur die Leute in der Moschee,
die ihn beeinflusst haben. Eigentlich fing alles an mit diesem Pierre Vogel.
Von dem hat er sich Videos angesehen. Ein Freund hatte die mitgebracht. Und
dann ging es erst richtig ab. Die haben sich richtig gegenseitig hochgestachelt
und mitgerissen. Auf der einen Seite die Moschee und dann noch die Freunde! Einige
haben sich dann zwar fern gehalten und nicht mitgemacht, aber einige doch. Das
war wie ein neuer Lebensabschnitt, so kommt mir das heute vor. Abenteuer pur.
Wow, wir können an die Waffen, denn da ist ja Krieg, und alles für eine
humanitäre Sache! Das hat ihnen gefallen.
Was hat sie mehr
fasziniert, Hilfe zu leisten oder in den Krieg ziehen zu können? Wie siehst Du
das heute?
Am Anfang war das wohl eher mehr der Krieg. Also richtig an
die Waffe gehen und kämpfen. Und er hat sich wirklich eingebildet, dass er da
für etwas Gutes kämpfen würde und auch muss. Ich hab ihm immer versucht zu
erklären, kämpfe doch mit deinem Kopf, nimm doch dein Gehirn als Waffe. Aber das
hat er nicht angenommen. Er warf mir vor, ich sei zu verdeutscht. Ich wäre zu
freundlich sein, und es kämen jetzt auch härtere Zeiten, Moslems würden sterben
und die ganze Welt schaue einfach zu.
Er hat ja da auch gar nicht so Unrecht. Wenn ich an den letzten Gaza-Krieg denke: grauenhaft. Es war entsetzlich. Und die Verwüstung und Zerstörung sieht dort bis heute noch so aus. Nichts hat sich verändert und die Situation der Palästinenser dort wird von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen.
Ich habe ihm auch gesagt, natürlich ist das schlimm. Aber vor Ort zu helfen muss nicht unbedingt mit der Waffe sein, um dann an vorderster Front zu sterben und fertig! Da hilft man doch Niemandem. Aber egal, was ich gesagt habe, kein Wort hat geholfen.
Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" (2)
Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" (3)
Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" (4)
[1] Kommt vom arabischen Kāfir und bezeichnet „Ungläubige“ oder „Gottesleugner“.
[2] Moschee der Türkisch Islamischen Union (Diyanet İşeri Türk Islam Birliği)