Der kleine Steine-Verkäufer in Jordanien

Von CHH, September 2024

Es ist schwer, an die Zukunft von morgen zu denken,

wenn wir heute nicht genug zu essen haben.

 

Ich laufe durch Petra. Es ist heiß und staubig. An der Seite der Straße entdecke ich einen kleinen Steinhaufen und blicke um mich, neugierig, wer diese dort wohl platziert hat. Da erscheint er, der Besitzer dieser Steine, der unter einem Busch nach etwas Schatten gesucht hat. „Guck mal, schöne Steine“, preist er seine Ware an und erklärt,“ich mache dir einen guten Preis.“




Sie sind wirklich schön, seine Steine. „Wo hast du sie her?“ „Selbst hier in Petra gesammelt,“ erklärt er stolz. „Jeden einzeln habe ich besonders ausgewählt, guck!“ Er nimmt einen in die Hand, streicht den Staub weg, poliert ihn und reicht ihn mir mit einem Blick, als sei dies ein sehr seltener Edelstein.

 

Dieser Junge berührt mich. Er sollte in der Schule sein. Aber er sitzt in der Hitze unter einem kleinen Busch und versucht, Fremde wie mich zu finden, die seine Situation traurig macht und die ihm dann einen Stein abkaufen.

 

Ich suche mir zwei Steine heraus. Neben mir bleibt eine der vorbeiziehenden Touristinnen stehen. „Schöne Steine“ sinniert sie und fährt fort, als wolle sie sich mir gegenüber entschuldigen, „er tut mir leid, der Kleine, aber ich kann ja meinen Koffer nicht mit Steinen auffüllen.‘

 

Der Junge wickelt die beiden Steine vorsichtig in ein kleines Stück zerrissenes Plastik, so, als verpacke er ein wertvolles Schmuckstück. Ich suche in meiner Tasche nach etwas Geld, finde aber nur einen 20 Dinar Schein. „Kein Problem‘, sagt der Junge jovial und holt aus seiner Hosentasche ein Bündel Geldscheine, um mir den Schein zu wechseln.




Ich gebe ihm fünf Dinar und nehme die Steine, um sie ebenso vorsichtig in meiner Tasche zu verstauen. „Gib ihm doch nicht so viel Geld,“ seufzt da die Touristin. "Wenn Du das überall so machst, dann verdirbst du ja die Preise. Von wo kommst Du denn her?! Hier im Orient musst man mit denen doch handeln! Sonst halten sie dich für dumm und hauen dich übers Ohr. 50 Cent wären doch wirklich reichlich gewesen für diese beiden Steine! Du bist wohl das erste Mal hier in Jordanien. Hier musst Du aufpassen. Sie nennen dir hohe Preise und ziehen dir so das Geld aus der Tasche.“ Kopfschüttelnd zückt sie ihre Kamera und zieht weiter.




Mir hat noch niemand das Geld ‚aus der Tasche gezogen‘ in den sieben Jahren, die ich mich nun schon in diesem Land aufhalte, an einer Deutsch-Jordanische Universität (GJU) arbeite und mit den Studierenden Projekte für diejenigen Kinder aufbauen will, die keine Schule in der Nähe haben und auch von keiner staatlichen oder humanitären Organisation eingesammelt werden, um dann mit Bussen in die nächstgelegenen Schulen gebracht zu werden (1).

 

„Er wird bestimmt ein guter Edelstein-Händler,“ erklärt mir sein Vater, der sich in der Zwischenzeit zu uns gesellt hatte. „Alle müssen mithelfen, in der Familie. Es ist nicht einfach, das Leben hier,“ fügt er etwas verlegen hinzu, wohl wissend, dass der Platz seines Sohnes eigentlich in einer Schule sein sollte. „Er liebt Steine, kann mit Geld umgehen und kennt die Gepflogenheiten der Touristen.“ Der Vater strahlt. “Er braucht keine Schule für diesen Handel, das haben sie mir gesagt. Er muss das aber von klein auf lernen. Dann schafft er das schon!“




 

 

Der Tee ist doch hier im Garten





Vor Monaten bin ich eingezogen, in das Haus. “Können wir sehen, wie es bei Dir aussieht?“ fragt der Hausherr, der die Wohnung nur im Rohbau kennt. Zu Besuch aus Kuwait steht er mit seiner Ehefrau erwartungsvoll vor der Wohnungstür.  Allein, ohne sie, würde er niemals die Wohnung betreten. Die Beiden durchstreifen die Zimmer. Ja, es ist schön geworden, mit den Teppichen auf dem Boden und an den Wänden, mit den Kannen und Töpfen aus Kupfer und Messing und den alten, großen Tonvasen, sagen sie, nicken und gehen in die Küche. 

Die ist groß und geräumig, der Backofen fasst einen Braten für mindestens zwanzig Personen. Familienküche halt, wie hier so üblich in Jordanien. Sie öffnen die Küchenschränke. "Alles da?! Du hast ja alles gekauft!" Neben dem Wasserkocher ein Glas Nescafé und weitere solche Gläser, neu gefüllt mit verschiedenen Teesorten. Sie öffnen alle Gläser, riechen, reden miteinander in ihrer Sprache und lächeln. 

Am Nachmittag führt mich der Hausherr durch seinen Garten. Er lässt mich an den Blättern der Bäume und Büsche riechen. "Tee", sagt er und bricht mir einige Zweige ab. "Der Tee ist doch hier im Garten."

Warum erzähle ich diese Geschichte?
Das Fremde zu verstehen ist nicht immer einfach.
Sich im Fremden zurechtzufinden noch schwieriger.
Das erfahre ich hier in Jordanien täglich. 
Und so mancher steht dann plötzlich vor einer verschlossenen Tür.

Eine deutsche Austauschstudentin kommt überraschend an unsere Hochschule zurück. Ihr wurde die Praxisstelle in Palästina gekündigt. Sie hat sich dort nicht an die Regeln gehalten und musste innerhalb von 24 Stunden das Land wieder verlassen. Nun sucht sie einen Job in Jordanien, sagt sie. Sie kann erst einmal bei mir wohnen, sage ich. Dort angekommen, trifft sie im Garten den Hausherrn. Wir erklären ihm, was passiert ist. Freundlich lädt er sie zum abendlichen Iftar ein, zum Fastenbrechen mit seiner Familie. Die junge Frau bedankt sich und verabschiedet sich mit den Worten „… dann bis später“, taucht jedoch am Abend nicht wieder auf. „Wo ist das Mädchen?“ werde ich von den Gästen gefragt, denn es hat sich blitzschnell herumgesprochen, Doctora bringt jemanden aus Deutschland mit. Ich weiss keine Antwort. „Sie ist nicht gekommen.“  Schweigen. Vielsagende Blicke. „Sie nimmt meine Einladung nicht an, aber sie will in meinem Haus wohnen,“ kommentiert der Hausherr mit hochgezogenen Augenbrauen. Sie wird sich nach einer anderen Wohnmöglichkeit umsehen müssen.

Das Verwundern darüber, dass etwas so ganz anders interpretiert und gesehen wird, als man das selbst tut. Das Bemerken von ganz klaren Grenzziehungen: Ihr seid zwar willkommen hier im Land, aber die Grenze des für Euch Erlaubten, die setzen wir, die bestimmt nicht Ihr. Dies alles ist Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland nicht immer leicht zu vermitteln.

Ein Forscherteam aus Deutschland führt ein Projekt mit Jugendlichen aus Deutschland und Jordanien durch. Es hat unsere Hochschule als Kooperationspartner angefragt. Das Projekt ist von deutscher Seite bereits durchgeplant und in Deutschland so genehmigt. Wir stellen jedoch sehr differierende Vorstellungen fest und bitten um ein Gespräch. Wir halten einen  Workshop für Mädchen und Jungen mit gemeinsamer Übernachtung der Gruppe für problematisch und schlagen ein Tagungshaus in der Nähe des Wohnortes vor, damit die Jugendlichen zu Hause übernachten können. Des Weiteren bestehen wir darauf, das Thema Sexualität als absolut tabu zu betrachten. Warum? Weil so etwas in Jordanien halt nicht geht.  Lediglich letzterem stimmt die Forschungsgruppe aus Deutschland mit Kopfschütteln zu. Sie finden eine Schule mit Tagungshaus, dessen Direktor sich bereit erklärt, eine gemischte Jugendgruppe für das deutsche Team zusammenzustellen.

Der Workshop soll die vorhandene Fremdenfeindlichkeit und den zum Teil vorfindlichen Hass auf Andere in Deutschland behandeln. Ich treffe mich mit den jordanischen Pädagoginnen, die angefragt wurden, um den Workshop durchführen. Sie planen, nicht die Ablehnung von Fremden, sondern die Willkommenskultur in Jordanien zu thematisieren, so, wie sie überall im Land praktiziert wird, und ich bin sehr neugierig auf die Ergebnisse.

Nach dem Ablauf des Workshops dann plötzlich ein Anruf, wir müssen sprechen, unbedingt, es gab Probleme, mit dem deutschen Team, mit den Jugendlichen, mit dem Ablauf, ja, eigentlich mit Allem. Wir vereinbaren ein Treffen. Die beiden Frauen sind sehr zurückhaltend, sehr zögerlich. Doch dann bricht es aus ihnen heraus: Es war so respektlos, so unhöflich. Und vor allem hätten die Deutschen einen Film mit Szenen gezeigt, die mit der Kultur des Landes nicht vereinbar seien. Ich bin erstaunt, denn ich kenne den Film und habe ihn selbst oft mit Jugendgruppen zusammen angesehen. Es sind unsittliche Szenen, wird mir erklärt. Noch immer verstehe ich nicht, worum es geht. Nach meiner Ansicht gibt es in dem Film keine 'unsittlichen Szenen'. Eine der Pädagoginnen öffnet ihren Laptop und zeigt mir ihre Screenshots. Küssende Paare; eine von einem Mann an die Wand gedrängte Frau, halb ausgezogen, eine Szene 'mit eindeutigen Absichten'; Jugendliche - Mädchen und Jungen – auf einer Party, Bierflaschen schwenkend. Dialoge, die, falls in den arabischen Untertiteln so übersetzt, als Fäkal- oder als sexualisierte Sprache zu beschreiben sind. Was war geschehen? Nicht die Originalversion aus dem Jahr 1981 war gezeigt worden, sondern eine Neuverfilmung, "angepasst" mit stereotypen Bildern "DER Jugend von Heute".

Die jordanischen Jugendlichen waren schockiert. Solche Szenen gibt es nicht in den Spielfilmen, die im Lande ausgestrahlt werden. Ja, sie sind sogar verboten und werden von der Zensurbehörde herausgeschnitten. Einige der Jugendlichen verliessen sogar den Vorführraum. All das wurde vom deutschen Team in seiner Tragweite offensichtlich so überhaupt nicht wahrgenommen. Man versuchte sich im anschliessenden Gespräch auf die Story zu konzentrieren und aus einzelnen Szenen Verhaltensstrategien der Jugendlichen im Film zu beschreiben. Mit den jordanischen Betreuern hingegen thematisierten die Jugendlichen ihren Schock über diese sexuellen Szenen im Film und diejenigen mit den alkoholtrinkenden Jugendlichen. Das waren für sie nun die bleibenden Bilder 'der' Jugendlichen in Deutschland. Niemand vom deutschen Team erfuhr von diesen Debatten, sie fanden in Arabisch statt und unter Abwesenheit der Deutschen.

Hier war offensichtlich das geschehen, was während meiner Ausbildung als der "Huhn"-Effekt bezeichnet wurde, basierend auf einer Geschichte, die in fast jedem Ethnologie Seminar irgendwann einmal auftaucht. Ein Europäer zeigt einen Film in einem Dorf irgendwo auf dem afrikanischen Kontinent. Es geht um den Bau eines Brunnens. Im Anschluss ist er verwundert, als ihm der Übersetzer immer und von dem "das Huhn" berichtet, welches die Dorfbewohner stundenlang beschäftigte. Er wollte einen Brunnenbau erklären, aber dann war da da das mit dem Huhn. Nichts anderes ging mehr. Und er selbst verstand nichts, rein gar nichts von dem, was sich da abspielte. Erst nach mehrmaligem Abspielen des Filmes entdeckte er es dann irgendwann, das Huhn, wie es über die Leinwand lief. Das war es, das, was die Dorfbewohner beschäftigt hatte.

Als Fremde in einem Land machen wir Fehler, die wir selbst gar nicht bemerken. Zum Verstehen braucht es halt doch etwas mehr, als nur eine Reise in das Land eines Anderen.



Verstehen ist eine Reise ins Land eines Anderen

Es herrscht Stille in diesem Blog. Seit langer Zeit. Warum eigentlich? Diesen Blog haben Selçuk und ich vor Jahren gemeinsam geplant. Ich lebte in Frankfurt. Er lebt in Istanbul. Die Gezi Bewegung hat uns zusammen geführt. Aus unseren Blickwinkeln haben wir sie gemeinsam beobachtet. Und irgendwann entschieden wir, wir reden und denken nicht nur zusammen. Wir schreiben das auch auf.

Heute ist alles anders. Ich bin weggegangen aus Deutschland. Selçuk ist geblieben, in seinem Istanbul. Er kann ohne den Bosporus nicht leben. Sagt er. Doch auch ihm kommt immer wieder einmal ein 'vielleicht gehe ich nach ...' in den Sinn. Wir bleiben zwei Reisende in dieser Welt, selbst dann, wenn wir am selben Ort ausharren.

Das Reisen nach Istanbul hat seit längerem sein Ende für mich. Und damit auch die bisherige Konzeption des Blogs. An einem Ort zu sein - nun in Jordanien - und das für mich zuerst Fremde zu beobachten und zu beschreiben. Einfach so. Wie ich es sehe. Das ist der Perspektivwechsel für mich, von dem aus ich in Zukunft meine Texte formulieren werde.

Warum machen wir dann hier nicht einfach weiter, haben wir uns oft gefragt. Ja, warum eigentlich nicht.


"Du willst nach Duhok?!" - "Was willst Du denn im Krieg?"

„Du willst nach Duhok“, höre ich und blicke in ungläubige Gesichter. „Was willst Du denn im Krieg? Mosul ist doch nur 20 km Luftlinie entfernt! Hast Du denn gar keine Ahnung, was da grade passiert?!“ Doch, hab ich. Seit langem beobachte ich den Kampf gegen den IS, die Befreiungsaktionen und aktualisiere täglich die Frontlinien auf meiner Karte. Aber auch mit einer Karte macht es keinen Sinn, meinem Gegenüber den Unterschied zwischen 20 km Autobahn in Deutschland und 20 km Luftlinie in der irakischen Region Kurdistan klar machen zu wollen. Für sie ist dort halt Krieg. So beschreiben es die Medien täglich.

Ein Häuserkampf tobt um Mosul. Menschen sprengen sich in die Luft und reissen viele mit in den Tod. Umliegende Dörfer werden gestürmt und befreit. Diese Bilder des Grauens haben sich tief in uns eingegraben. Denn man schreibt nicht nur, sondern zeigt Bilder mit grausamen Szenen, möglichst mehrdimensional abgebildet, mit Schrift, Bild und Ton. Da ist es schwer, mein Unternehmen in der genannten Region mit rationalen Argumenten zu begründen. Ich bleibe wortkarg, packe meine Reisetasche und begebe mich zum Flughafen.

Es ist Nacht als wir in Erbil ankommen. Man hat vergessen, uns abzuholen. Sowas passiert. Etwas neidisch blicken wir auf die hochgehaltenen Schilder der Abholer. Alle sind sie da, GIZ, UNHCR, Malteser, UNICEF ... und warten mitten in der Nacht auf diejenigen, die ebenfalls bereit sind, sich in Kurdistan zu engagieren. Erschöpft dennoch im Hotel angekommen, erfahren wir, ein Fahrer werde uns am nächsten Morgen abholen. "Dunkelhäutig, mit schwarzen Haaren. Ihr erkennt ihn leicht." Er ist also kein Fremder, kein ‘Ausländer‘, wenn er so aussieht wie fast alle hier. Das beruhigt. Und er ist leicht zu erkennen? Mal sehen.

Ja es ist Krieg in der Region. Auch am Morgen des 22. April 2017. In Mosul wird bereits der Bezirk Al-Thaura wieder kontrolliert und Hai al-Tanak ist zur Hälfte vom IS befreit. Noch immer Sprengstofffallen, Heckenschützen und Artilleriefeuer überall. Menschen versuchen zu Fuss in die nördliche Region zu fliehen, dorthin, wo vor ihnen bereits Hundertausende angekommen sind. Hier, in Erbil, hier redet jedoch kaum jemand vom Krieg "Es ist sicher hier. Die Fahrt nach Duhok? Das geht ohne Probleme." 


 Fast eine gemütliche Aufbruchstimmung. Das Hotel komfortabel. Waffen bleiben draussen. Der IS wirkt hier eher wie ein Schreckgespenst aus vergangenen Tagen. "Es dauert nicht mehr lange, dann sind die ganz verschwunden." Die Themen sind mehr an der Zukunft ausgerichtet. Es geht um  "Kurdistan after ISIS" - so eine Konferenz an der Universität Duhok, zu der die Veranstalter auch uns eingeladen haben. Eine richtige thematische Entscheidung, denn man kann nicht rückwärts in die Zukunft blicken.

Die Fahrt von Erbil nach Duhok, eigentlich nur ca. drei Stunden, dauert doppelt so lang, da wir Mosul umfahren müssen. Rechts und links der Strasse immer wieder Schafe und Ziegen. Ab und zu ein paar Häuser und einige Läden. Sonst nur die weite baumlose Landschaft. Lediglich Checkpoints erinnern an die noch immer lauernde Gefahr. "Wen hast Du da im Auto?" "Alemanya." 
"Alemanya? Na dann gute Fahrt, schöne Zeit für Euch und kommt bald wieder!" Und weiter geht es. "Sie mögen die Deutschen hier. Mit Euch komme ich gut durch" grinst der Fahrer und hält an einer Betonsperre. "Durst?" Ein Junge springt herbei. Das Wasser ist noch kühl. Die Sperren heute, eine Chance für die Kids, sich bei der Hitze ein paar Dinar zu verdienen.


Wie biegen ab und fahren nach Lalish. Ehrfürchtig betrachten wir diesen heiligen Ort der Jeziden. Was uns dort gezeigt und berichtet wird, ist kaum zu verkraften. [1] Hier gibt es keine Aufbruchstimmung. Nur Trauer. Hier ist der IS noch präsent. Überall! Ein kleiner Junge wird an uns vorüber getragen. Er wirkt leblos, wie zerstört. Seine Augen sind stumpf. Er starrt vor sich hin und redet nicht. Er ist nur einer von vielen. "Viele unserer Männer konnten wir noch nicht einmal beerdigen. Wir haben längst nicht alle Massengräber gefunden. Tausende Frauen und Kinder sind noch versklavt. Viele, viele von ihnen leben wohl nicht mehr. Wir hoffen! Aber es ist eine Qual." Familien sind ausradiert, der Lebensraum ist zerstört ... diese Erinnerungen sind grausam. Und den Kampf um ihre Dörfer, den führen gegenwärtig andere. "Ja, vielleicht sind wir hier sicher, aber diejenigen, die dort zurückgeblieben sind, die leben noch heute in Angst und Schrecken." Die Tragödie der Jeziden ist nicht zu vergessen. "Es wird Generationen dauern, bis ... ." Ja, bis ...
Wir verlassen diese trauernde Stille und machen uns auf den Weg nach Duhok. "Kurdistan after ISIS" - Wird es dort noch um mehr gehen, als um "... the right of Kurdistan region to self-determination?" [2]

Zwei Tage später treffen wir unseren Kollegen, der mit Ärzten aus Deutschland in der Region unterwegs war. Verstört zeigt er uns zwei Fotos. "Hier" und er deutet auf das eine "hier haben wir gestern Nacht geschlafen. Heute ist dort alles zerstört. Wären wir eine Nacht länger geblieben, vielleicht wären wir jetzt tot." Was war dort geschehen? Es war nicht der IS, der noch einmal zurückgekommen und dabei nicht nur getötet und einen Sendemast zerstört hat,  sondern auch die Medizinstation teilweise verwüstet hat. Das waren türkische Kampf-Flugzeuge, die in den Sinjar Bergen sehr gezielt 'PKK-Stellungen' bombardiert hatten. "Sicher sind dort oben kurdische Kämpfer," berichtet unser Kollege. "Klar auch von der PKK, denn wie ist Sicherheit dort sonst möglich? Wer hat denn die Gebiete dort befreit? Wie sollen denn weitere Gebiete befreit werden, ohne deren Präsenz?" Und es verwundert nicht, wenn während der Konferenz auch immer wieder zu hören ist: "Den IS werden wir besiegen. Das ist sicher. Viele von uns stellen sich aber die Frage, ob der eigentliche Feind, vor dem wir auf der Hut sein müssen, nicht mittlerweile wieder die Türkei ist". 
Es ist nicht leicht, an einer Zukunft zu bauen, von der man nicht weiss, ob sie einem nicht gleich wieder zerstört wird.

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1) folgt.
2) Kurdistan after ISIS: Questions of Identity and Boundary, Conference held by Iraqi Kurdistan Regioinal Covermorate, Ministery of Higher Education and Scientific Research, University of Duhok & Beşikçi Center for Humanity Studies from 22.-23 April 2017 - folgt.