Abdullah Bozkurt – "Ich verließ die Türkei am 26. Juli"

Wenn man in den letzten Wochen Abdullah Bozkurts Twitteraccount durchstreift, so verwundert seine Klarheit und offene Kritik an den Ereignissen in der Türkei in Gegenwart und Vergangenheit. Ist eine kritische Berichterstattung also doch noch möglich? Nein, das ist sie nicht. Und wäre Abdullah Bozkurt noch immer in Ankara, dann wäre er sicher, wie so viele seiner Kolleginnen und Kollegen, einer Verhaftung nicht entgangen. Dieser hat er sich jedoch entzogen. Er floh nach Schweden. [1] Einen Tag später wurde seine Nachrichtenagentur Muhabir übrigens von der Türkischen Regierung geschlossen.

Solange es ihm im Exil möglich ist, schreibt Abdullah Bozkurt weiter. Und er klagt an. Für ihn richten sich die Säuberungsaktionen in den Medien insbesondere gegen diejenigen Journalistinnen und Journalisten, die investigativ arbeiten. Seiner Ansicht nach wurden überwiegend diejenigen verhaftet, die in der Vergangenheit aufdeckten, wie in der Türkei mit radikalen islamistischen Netzwerken zusammengearbeitet wird. Und ebenso diejenigen, die über die umfangreichen Korruptionsermittlungen geschrieben und dabei den Präsidenten Erdogan und seine Familie belastet haben.

Offensichtlich ist es Abdullah Bozkurt gelungen, sein Archiv frühzeitig zu sichern, um es vom sicheren Ort nun noch einmal aufzuarbeiten und zu durchdenken. Fast täglich erscheint von ihm Bekanntes mit neuen Hintergrundinformationen auf Twitter. Dabei bedient er sich der Twitteratur, eine Methode, die ursprünglich entwickelt wurde, um ein neues Literaturgenre zu generieren. Er schreibt in fortlaufenden durchnummerierten Threads zu jeweils 140 Zeichen, die im Zusammenhang gelesen, dann einen fortlaufenden Text ergeben.

Seine Texte, die er auf storify noch einmal zusammenfasst – und die wir hier noch einmal zusammenstellen [2] – rekonstruieren den Blick auf die Türkei, wie er in den letzten Jahren in den dortigen Medien noch beschrieben werden konnte. Wenn man diese Texte liest, erkennt man, warum es in der Türkei nicht nur darum geht, Zeitungen zu verbieten, die dem mainstream nicht entsprechen, sondern auch darum, ihre Archive zu vernichten.


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1 Siehe hierzu seinen Gastbeitrag im Focus vom 16.8.2016.
2 Auch ohne englische Sprachkenntnisse sind die Texte zu lesen, wenn in die einzelnen Tweets geklickt wird und oben rechts der Übersetzungsbutton markiert wird.