Eine Frau kämpft – "Mein Sohn will nach Syrien!" – Teil 3

Du hast Deinem Sohn gesagt, wenn er die Salafisten als seine neue Familie ansehen würde, dann solle er gehen und nicht mehr wiederkommen. Seine Familie habe er dann aber verloren. Wie hat er darauf reagiert?  

Er ist geblieben. Ich glaube es war die Liebe seiner Familie, die ihn hat überlegen lassen, doch wieder in die Normalität zurück zu kommen. Ich denke aber, er war noch sehr hin- und hergerissen zwischen dem Extremismus und seinem normalen Leben. Denn das war noch lange nicht das Ende von der Geschichte. Es hat ihn doch noch eine ganze Weile immer wieder zurückgezogen in diese "andere Welt". Ich habe dann aber angefangen, ihm auf eine andere Weise zu zeigen, dass mir das nicht gefällt. Ich bin ihn nicht mehr so direkt angegangen.

Was hast Du anders gemacht?

Naja, immer wenn es Proteste gegen die Salafisten in unserer Gegend gab, da war ich dann vorne mit dabei. Und das war gar nicht so einfach für mich, denn so etwas war ich ja gar nicht gewöhnt.

Bist Du da dann auch wieder alleine hingegangen?

Nein, diesmal nicht. Ich habe meinen ganzen Freundes- und Bekanntenkreis mobilisiert. Und auch die anderen Mütter, die ich mittlerweile kennengelernt hatte. Besonders mit einer, deren Sohn noch minderjährig ist, habe ich mich angefreundet. Denn nachdem die Sache mit meinem Sohn bei uns bekannt geworden war, haben mich plötzlich etliche Mütter angesprochen und mir ihre Sorgen erzählt. Es gab ja auch Mütter, deren Kinder nach Syrien gegangen sind. Die hatten ganz andere Sorgen als ich. Aber irgendwie hatten wir doch alle was Gemeinsames, nämlich die Angst um unsere Kinder.

Du sprichst immer von Deinem Kind. Aber Dein Sohn ist bereits ein erwachsener Mann, oder?

In dem Moment ist es mein Kind, wenn er so fremdgesteuert ist. Und das hab ich ihm auch immer vermittelt. Ich glaube, irgendwann hat er verstanden, was ich meine, wenn ich immer wieder gesagt habe, wage dich nicht mehr zu diesen Veranstaltungen, ich werde auch da sein, und ich krieg dich, ich hol dich da raus.

Und Du bist dann wirklich zu Protestveranstaltungen und Demonstrationen gegangen?

Ja, und solche Demonstrationen waren für mich, aber auch für die anderen Mütter eine ganz neue Erfahrung. Diese Proteste, alle Parteien waren vertreten, von den Grünen bis hin zur NPD. Das war schon ein komisches Gefühl für mich, zusammen mit der NPD gegen etwas zu sein. Ds war damals auch irgendwie merkwürdig, so als würden die Salafisten vor uns, vor den Demonstranten geschützt. Manchmal gab es richtige Absperrungen gegen uns. Und neben uns dann die NPD, man wurde richtig eingekesselt von denen und vor uns, neben uns lauter fremde Leute ... viele mit Trillerpfeifen. Ich auch (lacht).

Und wir Mütter haben dann andauernd geguckt, ob wir nicht doch unsere Kinder irgendwo sehen. Und es gab auch Mütter, die hatten Angst um ihre ziemlich jungen Kinder, wenn einer schon in Syrien war, dann hatten sie Angst, dass nun vielleicht auch noch der zweite auf diese schiefe Bahn kommen könnte. Übrigens war es interessant, dass uns besonders die Konvertiten total böse angeblickt und dumme Sprüche gegen uns von sich gegeben haben. Es gab auch manchmal aufregende Situationen, wenn eine Mutter ihr Kind dann doch gesehen hat. Da war die Polizei aber doch manchmal hilfreich und hat sie durch die Absperrung gelassen, damit sie ihr Kind da rausholen kann. Es war eine verrückte Zeit, manchmal sind wir hinter den Kindern richtig hinterher gehechtet und haben sie eingefangen. Wir haben uns verteilt und uns gegenseitig mit unseren Handys informiert, wenn jemand ein Kind gesehen hat. Und dann haben wir versucht, die zu erwischen. Einmal, das werde ich nicht vergessen, hat ein Paar auf einen jungen Mann eingeredet, er solle mit nach Hause kommen, aber er war so störrisch und hat sie beschimpft. Ich stand direkt daneben. Und irgendwann hat die Frau den jungen Mann losgelassen und hat mit Tränen in den Augen gesagt "dann geh, mach was du willst, du bist frei, aber dann komm auch nie zurück". Und der junge Mann ist dann abgehauen. Auch der Mann hat geweint. Es war eine schlimme Zeit für uns alle, die wir betroffen waren.

Und Du hast das wirklich alles durchgehalten?

Ja, überleg mal, das waren mehrere Jahre. Ich glaube mein Sohn hat auch mit deshalb irgendwann aufgegeben, weil er kapiert hat, diese Frau gibt einfach nicht auf!

Aber ist das nicht eigentlich für den anderen eine unstimmige Sache, wenn er von etwas eigentlich überzeugt ist, dies wegen seiner Mutter aufgibt und nicht aufgrund seiner eigenen Überzeugung? Vielleicht hat er dann lediglich gedacht, gegen die bin ich halt machtlos, die rennt mir ja bis nach Syrien hinterher. Ist das dann nicht eher nur ein Stillehalten und Abwarten auf die nächste Gelegenheit, um dann zu entwischen?

Ja, ich habe ihm gedroht, selbst in Syrien erwische ich dich, ich hol dich zurück! Aber damit war ich nicht allein, da waren noch mehr solche Mütter wie ich es bin. Die waren genauso radikal wie ich. Und vielleicht haben die Jungen dann auch überlegt, wenn unsere Mütter jetzt alle so zusammen sind, gegen die haben wir dann keine Chance mehr. Vielleicht war das wirklich der erste Auslöser, sich wieder etwas von den salfistischen "Freunden" zurückzuziehen. Wir Mütter haben uns gegenseitig richtig abgesprochen, was wir tun und haben uns gegenseitig gestützt. 

Ihr seid schon beeindruckend starke Frauen! Aber wie ist es dann mit Deinem Sohn weitergegangen? Du hast gesagt, er sei wieder zu Euch zurückgekommen.

Ja, ich habe ihm aber überhaupt nicht getraut. Und ich denke heute, die Moschee wollte ihn damals einfach nicht mehr haben.

Wie kommst Du darauf?

Naja, es war doch sehr offensichtlich, dass er mich davon überzeugen wollte, er würde plötzlich dort nicht mehr hingehen. Das war schon sehr merkwürdig, so plötzlich. Ich denke, die wollten ihn nicht mehr. Es war ihnen zu viel mit den Söhnen dieser radikalen Mütter. Und sie haben ihm vielleicht gesagt, geh mal nach Hause und beruhige die erstmal wieder.

Du meinst, sie wollten wieder Ruhe um die Moschee und da verlieren sie lieber Deinen Sohn als einen potentiellen Jihadisten, damit der Moschee nicht zu viel Aufmerksamkeit gewidmet wird?

Ja, genau so.

War Dein Sohn da nicht beleidigt, dass so mit ihm umgegangen wurde?

Ich denke, dass man ihm das nicht offen gesagt hat, man wolle ihn nicht mehr, sondern ihm halt als Aufgabe gestellt hat, die Mutter wieder zu beruhigen, denn bei den anderen radikalen Müttern war es ähnlich. Ich glaube, er hat es damals gar nicht begriffen, dass sie ihn nicht mehr haben wollten. Ja und dann war plötzlich alles anders, er war wieder lieb und ruhig.

Wann war das ungefähr?

Das ist jetzt schon über zwei Jahre her.

Und war dann für Dich plötzlich alles wieder in Ordnung?

Nein, überhaupt nicht. Ich hab ihm nicht getraut, und er hat auch ein doppeltes Spiel gespielt. Ich denke, er ist damals weiterhin in die Moschee gegangen. Freunde haben ihn imer mal wieder gesehen und mich natürlich sofort informiert. Und das hab ich ihm dann auch gesagt. Und da hat er wohl irgendwann die Krise gekriegt, weil er gemerkt hat, egal was er macht und tut, es kommt raus. Immer wieder hat er überlegt, wo ich die ganzen Informationen über ihn herkriege. Einmal hat er mich angeschrien, "machst du jetzt einen auf FBI oder was?!" Diese Kontrolle, die hat ihn total fertig gemacht.

Du hast ja zu der Zeit dann wohl auch nichts anderes mehr tun können, als Dich um ihn zu kümmern, oder?

Ja, bis die Tochter dann irgendwann mal gesagt hat, Mama, mich gibt's auch noch. Und unsere Ehe ist fast daran zerbrochen, da er mich gegen meinen Mann ausgespielt hat.

Wie hat er das gemacht?

Er hat einfach Dinge über mich erzählt, die ein türkischer Mann nicht so gerne hört, und wenn mein Mann nicht so viel Vertrauen zu mir gehabt hätte, dann wäre es bestimmt schief gegangen.

Hat Dein Mann Dir geglaubt? obwohl, ich denke, er hatte ja auch ein großes Interesse daran, dass die Sache mit seinem Sohn wieder in Ordnung kommt.

Ja, klar, und er hat mir vertraut, dass ich den richtigen Weg schon gehen würde. Er wusste auch, dass ich in diesem Fall als Mutter mächtiger war, als er selbst. Er kommt als Mann zwar in bestimmte Kreise eher rein und an viele Informationen eher ran als eine Frau. Aber bestimmte andere Informationen, die habe ich dann eben und er nicht. Mütter sprechen untereinander, informieren sich, geben Hinweise und helfen sich.

Aber wie kommen die Mütter denn an diese Informationen heran, wenn Du sagst, eigentlich ist es mehr der Mann, der alles erfährt?


Das sind ganz verschiedene Informationen. Beim Mann sind es mehr rationale Sachen. Bei den Frauen ist es mehr das Gespür, dem sie nachgehen und durch das sie an die Informationen herankommen. Frauen haben mehr Sensoren, um etwas zu bemerken. Sie bemerken Veränderungen weitaus schneller. Als mein Sohn zum Beispiel anfing, diese blöde Hose anzuziehen, so eine Haremshose, das hat mein Mann überhaupt nicht bemerkt, bis ich es mal laut angesprochen habe. 

Und so haben wir dann begonnen, uns nach seiner Rückkehr in die Familie langsam wieder aneinander heranzutasten, jeder auf seine Weise. Das war ein nicht einfacher Prozess.