Gefunden – Selçuk Salih Caydı's Hodscha-Geschichten

Die ersten Hodschageschichten von Selçuk fand ich in seinem Blog und zwar in türkischer Sprache. Es hat etwas gedauert, ihn davon zu überzeugen, diese doch übersetzen zu lassen. "Der Kessel hat ein Junges bekommen" war bereits in türkischer Sprache erschienen. "Der Pelz, der nach Konya ging" ebenfalls. "Der zweite Gesprächsversuch des Vakanüvis mit Hafiz dem Witzigen" allerdings noch nicht. Ja und die anderen Geschichten, das Manuskript habe er "verbummelt", gestand er. Aber eine handschriftliche Version sein bestimmt irgendwo noch zu finden. 
Er hat es gefunden, das Manuskript. Vor kurzem erhielt ich diese Nachricht und einen kurzen Überblick über sein Werk. Und nun? Wir werden sehen, ob es als sein erstes Buch in Deutscher Sprache erscheinen wird. (CHH)


Ein Kornelkirschenerlebnis mit Hodscha

Eine mystische Geschichte. Ein Derwisch kommt, um Hodscha eine Frage über Mystik zu stellen. Aber er stellt diese Frage, ohne ein Wort auszusprechen. Hodscha erhält die Frage von seinem Jünger, indem er den Jungen ausfragt. Auf diese Weise spricht der Derwisch durch den Jungen. Hafiz und paar der islamische Gelehrten draußen vor der Tür in Hodschas Dergah verstehen nichts von dieser Art des Derwisches. Hodscha bestellt nun diese unfühlsamen Buchwissengelehrten zu sich, um sie mit einem Kornelkirschenast zu verprügeln. In dieser Geschichte geht Hafiz auf eine der bekanntesten Hodscha-Geschichten "Du hast auch recht" ein. [1] 

Vakanüvis erster Interviewversuch mit Hafiz dem Lustigen

In dieser knappen Episode erzählt Hafiz seinem Publikum eine Hodscha-Geschichte, als Vakanüvis ankommt, um mit ihm zu reden. Er fragt, wie Hafiz den Hodscha eigentlich kennengelernt habe. Hafiz quaselt etwas Phantastisches, dass über den Tod hinausgeht. Er veralbert Vakanüvis und schmeißt ihn raus. Dann beginnt er vor seinem Publikum in der Dorfkneipe auf seine sehr eigene Weise eine neue Geschichte und erzählt den Anfang von "Der Kessel hat ein Junges bekommen." [2]

Der Derwisch und sein Schweigegelübde

Eine mystische Geschichte von einem Derwisch mit Schweigegelübde, der sich vor dem Hodscha nicht beherrschen kann und ihn mit einem Geistesschwert droht, sich deswegen aber bei ihm entschuldigt und daher seine Gelübde bricht. Hafiz wird Zeuge dieses Momentes und kriegt einen Schock, kann nicht mehr sprechen. Da sagt Hodscha zu ihm "Bis du darüber keinen Witz ausreißen willst, wirst jetzt DU sein Gelübde tragen." [3]
(Hafiz wird in den Geschichten immer als jemand dargestellt, dass er zwar theoretisch viel über Mystik weiß und den Schülern davon erzählt, aber doch ein durch und durch rationaler Mensch ist. Wenn sein Wissen über Mystik doch wahr wird und Hodscha bzw. seine Jünger Wunder vollbringen, kann er nur schwer glauben, was er sah.)

Ein mongolischer Besucher

Diese längere Geschichte erzählt ausführlich, wie Hodscha mit einem Kornelkirschenast einen mongolischen Bandenführer mit dickem Schwert besiegt und dabei Hafiz den jüngeren Hodschas die Grundlagen vom "Kämpfen ohne Waffen" beibringt. Das Stück ist dem Yagyū Munenori gewidmet, da die Geschichte auf seiner Kampftheorie basiert. [4] Der Herausforderer wird vom Hodscha besiegt, und zum Schluß wird auch dem rationalgläubigen Hafiz eine Lektion erteilt. Woraufhin Hafiz auf der Stelle eine neue Hodscha-Geschichte ausbrütet, die vom Hodscha und dem Storch. [5]

Die Wissenden und die Nichtwissenden

Diese Geschichte basiert völlig auf einer Hodscha-Geschichte. Hafiz hatte sie "ausgebrütet" aber noch niemandem erzählt. Er macht mit dem Hodscha einen Deal und schliesst eine Wette mit ihm ab. Er glaubt, dass die Geschichte so verlaufen würde, wenn Hodscha nur nach Hafiz' vorgedachter Geschichte mitspielen würde. Und die Geschichte geht etwa so:
Hodscha fragt die Gläubigen: "Wisst ihr, was ich euch erzählen werde?" Diese antworten mit "Nein". Und er fährt fort, "tja, warum soll ich es dann erzählen?" und geht. Am nächsten Tag stellt er dieselbe Frage noch einmal. Nun antwortet die Menge: "Ja wir wissen". Da sagt er "ach gut, ihr kennt's ja schon," und lässt die Gläubigen stehen.
Am dritten Tag hat die Menge sich abgesprochen damit der Hodscha auf keinen Fall wieder wegläuft. Sie sagen: "Hodscha, die Hälfte von uns weiß, die andere Hälfte weiß nicht, was du erzählen wirst."  Da meint der Hodscha, "dann sollen es die Wissenden den Unwissenden erzählen." Hafiz hat dies so geplant und mit Hodscha gewettet. Aber am dritten Tag sagen die Jünger im Palast etwas anderes und bringen Hafiz durcheinander. Daraufhin stellt Hodscha eine vierte Frage, die gar nicht geplant war und Hafiz' Vorstellung sprengt. [6] Hieraus ergibt sich eine längere Geschichte und zum Schluss wird aus Spaß der Anfang der Hodscha-Geschichte "Hodscha und Tamerlan im Hamam" erzählt, die in mehreren Geschichten Selçuks kurz erwähnt wird. [7]

Ney und Nakkare [8]

Diese Geschichte ist eine Art Fortsetzung von "Die Wissenden und die Nichtwissenden" da die Jünger Hodschas mit seinen Antworten unzufrieden sind.
Sie treffen sich noch einmal mit Hodscha und dieser freut sich, da seine Antworten mit Absicht unvollständig waren. In dieser Geschichte bringt er seinen Jüngern nahe, dass die Sinne selbst ganz schön lügen können. Er beweist es ihnen durch ein kunstvolles mystisches Experiment. Das Fazit: "Man soll Illusion und Echtheit unterscheiden können" und warum Musik "gut" ist, weil sie nicht böse sein kann. Hafiz erklärt den Jüngeren, dass Musik deshalb von Derwischen immer auch zu ihrer Schulung genutzt wird.

Altes Leben - Neues Leben

In dieser komplizierten mystischen Geschichte entlarvt Hodscha zwei falsche Derwische, die ihn umzubringen versuchen, die zwar das Wissen der Derwische kennen, es aber es nicht praktizieren können, da sie nicht "gut" sind. Hier wird "Das Böse" entblößt, das trotz großes Wissens unecht bleibt und zur Niederlage verdammt ist. Eine komplizierte Geschichte, die zum Nachdenken anregt.

Baklava und Börek für den Hodscha

In dieser Geschichte geht es um den egozentrischen "Glauben" eines seldschukischen Prinzen. Er glaubt an gute Prophezeiungen über ihn, die auch zutrafen, der aber schlechte und böse Prophezeiungen nicht akzeptieren kann und an diese nicht glauben will. Daher möchte er, dass der allwissende Hodscha diese ändert. Die böse Prophezeiung wäre, dass er einmal übel blamiert würde. Da prügelt Hodscha ihn vor all seinen Schülern mit seinem üblichen dünnen Kornelkirschenast, den er wie eine Peitsche benutzt. Der Prinz bekommt die größte Blamage seines Lebens und so seine Lektion. Da er diese versteht, hält er seine Leibwache zurück, die Hodscha und seine Jünger bestrafen wollen und reitet zum Palast zurück.

Anvertrauter Derwisch

Es geht hier um einen mysteriös-fiktiven Derwischorden "Gayb-i Seyfiye", die "Holzschwertträger", die übernatürliche böse Mächte und Dschinnen bekämpfen. Sie kommen zum Hodscha, um von seinem Kloster einen jungen Derwisch zu rekrutieren. Hodscha prüft hier die Weisheit und Einsicht seiner Schüler und wählt mit den Gastderwischen einen Jungen aus. Er läßt für ihn ein weißes Pferd satteln und gibt dem jungen Geisteskrieger mit auf den Weg:
"Komm nicht zurück, bevor du dich besiegt hast, mein Junge, sonst bekommst du eine Tracht Prügel von mir!"

Statt eines Nachwortes

Hier wird auf eine witzige Art der Tod des Hodschas erzählt. Es ist besonders witzig gefasst, weil der Tod nur wegen der Trennung von geliebten Personen traurig ist, aber nicht für den Hodscha, weil er mit all seinen Geschichten ja selbst nicht sterben kann. Dieser Teil basiert auf historischen Befunden und der Fiktion von Selçuk selbst. Die Jünger können nicht mehr entscheiden, ob er nun tot oder gar unsterblich geworden ist. Hier spielt Hafiz auch wieder eine Rolle mit seinem "buchgläubigen mystischen" Rationalismus.




1 Die Geschichte: Eines Tages kommen zwei Leute zum Hodscha, von denen der eine gegen den anderen eine Beschwerde führt. Vom Hodscha wollen sie nun wissen, wer im Recht ist. Der Hodscha hört den einen an und sagt: "Du hast recht." Dann hört er den anderen an und sagt "Du hast auch recht." "Es kann doch nicht sein, Hodscha, dass beide recht haben", widerspricht seine Frau. "Du hast auch recht, Frau", erwidert der Hodscha.
2 Bei Selçuks Geschichen zu finden.
3 Hafiz wird in den Geschichten immer als jemand dargestellt, der zwar theoretisch viel über Mystik weiss und dies auch den Schülern erzählt, der aber dann doch ein durch und durch rationaler Mensch ist. Und wenn das Erzählte dann wahr wird – d.h. wenn Hodscha oder seine Jünger mystische Wunder vollbringen – dann kann er nur schwer glauben, was er da sieht.
4 Der Samurai Yagyū Munenori war Schwertkampflehrer der Shogune Tokugawa leyasu und Tokugawa lemitsu. Er war beeinflusst von Konfuzianismus, Daoismus und Zen-Buddhismus. Er hinterliess die Schrift 兵法家伝書die er 1632 geschrieben hat, und in die er die Weisheiten seines Meisters Takuan Sōhō einfliessen liess.
5 Die Geschichte. Eines Tages fing Hodscha einen Storch und brachte ihn nach Hause. Weil ihm der Schanbel und die Füsse zu lang vorkamen, beschnitt er sie. Dann setzte er den Storch auf ein Podest und sagte: "So, jetzt siehst du wenigstens wie ein Vogel aus."
Diese vierte Frage kommt in keinem der Hodscha-Witze vor. Selçuk hat sie in einer indischen Version aufgespürt und hier nacherzählt.
7 Die Geschichte: Tamerlan rief Hodscha zu sich. Als er an seinem Palast ankam war der mongolischer Herrscher im Hamam. Nach einer kurzen Unterhaltung fragte Tamerlan den Gelehrten.
"Du kannst alles besser schätzen, was glaubst du wieviel ich wert bin Hodscha?" Hodscha guckte aif seine Hamamschürze und sagte, "ein Dinar." "Was? So billig?" "Ich meinte nur deine Schürze, nicht dich. Du selbst bist nichts wert."
8 Uralte Derwischflöte und altes Schlaginstrument.